Kaul und Mlauen Seuche

_ journal _

Nach Jahren bekam ich einen passenden Auffanggurt. Der Arbeitsschutz stellte fest: unsere Schutzausrüstung ist ungenügend und »abgelaufen« — das Zeug schimmelt nicht und wird einen im Ernstfall auch retten, aber nach zehn Jahren lässt man die Ausrüstung ausscheiden —, und das vorhandene Geschirr ist mir zu groß, was wahrscheinlich im Fall eines Falls zu unnötig mehr Verletzungen geführt hätte. Jetzt muss ich das Geschirr auch konsequent tragen. Eingestellt wäre es, und ich trainierte schon ein paar Mal den Ein- und Ausstieg; trotzdem fürchte ich, mir bereits beim Anlegen den Nacken zu brechen. Man ließ sich das sogar etwas kosten und drückte mir ein recht teures Modell in die Hand.

Meiner Meinung nach erarbeitete sich die Kollegin in der kurzen, intensiven Zeit mit uns durchaus ihren Platz in der Abteilung. Ein Kollege kritisierte ihre zaghafte Art; aber in der momentanen Situation arbeiten wir in einem Modus, wo man nicht daran denkt, jeden Arbeitsschritt zu erklären. Trotzdem hatte ich bisher den Eindruck, dass sie aktiv nach Möglichkeiten sucht, in denen sie sich zutraut, zugreifen zu können. Das sagte ich auch meinem Chef, als er mich nach meiner Meinung fragte.
Es schien, als gab es da ein paar negative Worte von anderen Kollegen. Darf man sich noch einarbeiten bzw. beim werken lernen? Das muss so eine Männersache sein, dass man nach einem bestimmten Punkt meint, mit dem momentanen Wissen den Job angetreten zu haben. Allerdings — vielleicht hängt es auch mit dem Generationenkonflikt zusammen? Die Kollegin wirkt oft desinteressiert bzw. abwesend. Von meinen Nichten — und von meinem Verhalten her — weiß ich, dass dies normales Verhalten ist. Die Leute sind oft ruhiger und beobachten erst einmal. Da versucht keiner mehr am ersten Tag seinen Platz zwischen den Hämoriden der Altgedienten zu finden, und das könnte diese entsprechend aufstoßen. Und um ehrlich zu sein, geht mir das ständige »Und was ist das?« auch auf die Nerven, weil diese Herangehensweise an einen Lernprozess oft nicht funktioniert. Es dauert, bis der Anbau im Hirn soweit ist, um neues, spezifisches Wissen auch nachhaltig abzulegen; bis dahin liegt es auf der Straße.

Angeblich gab es zu meiner Entscheidung die Pflege von Kirby zu übernehmen, kritische Worte. Dazu muss ich noch Informationen sammeln.

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Pflegezeit. In Kirbys Kindergarten breitete sich die Hand-Fuß-Mund Krankheit aus. »Kein Problem.« dachten die Frau und ich, weil er die im vergangenen Frühling schon hatte.
Es stellte sich heraus, dass es durchaus üblich ist, mehrmals daran zu erkranken. Oft ist es da wie mit Herpes, dass eine andere Erkrankung HFM die Tür aufhält. Kirby war den juckenden Ausschlag an den Handflächen und Fußsohlen nach zwei Tagen wieder los, die Rotznase blieb ihm länger. Nach zwei Tagen Pflegezeit, begann mir der Kopf zu schmerzen und der Hals zu kratzen. Abends kratzte ich mir dann die Fußsohlen, weil sich die Pusteln dort ausbreiteten. Einen ganzen Tag später war ich unbrauchbar.
Die Frau bekam nur die Pusteln; und nur auf der Zunge. Am ersten Tag half da noch Pyralvex, ab Tag Zwei musste sie schon lange reden und feste Nahrung streichen — und das blieb dann einmal vier Tage lang so.
Meine Eltern waren so nett, und halfen uns damit Kirby halbtags an zwei Tagen zu betreuen. In der Zeit machte ich mich mit Medikamenten »stadtfein«. Es dauerte in den ersten Tagen seine Zeit, bis meine Stimme vorhanden bzw. belastbar war. Und Kirby braucht und genießt es momentan, vorgelesen zu bekommen. Aber nur von mir. Bei der Frau beklagt er die … Gleichförmichkeit des Vortrags. Wobei ich meine Vorstellung nicht besonders Abwechslungsreich erlebe. Die Frau muss beim vorlesen immer erst aus ihrem Vortrags Duktus — klar aber gleichförmig — herausfinden, könnte sein, dass er dies Störend findet.

Apropos Lesen; es gibt da die Comicreihe Ariol, die Kirby mag. Ein Band hat da an die 120 Seiten, und besteht meißt aus mehreren kurzen Geschichten. Bisher laß ich diese immer in einer verkürzten Version vor, ich erklärte die Vorgänge. Nun hatten wir Zeit zum lesen, und ich begann ihm, den Text der Denk- und Sprechblasen zur Gänze vorzulesen. Es scheint ihm momentan zu gefallen, dauert nur länger.

An einem späten Nachmittag saß Kirby bei mir — oder ich bei ihm. Wir beobachteten die Bäume dabei, wie sie der Wind sanft bewegte. »Was war den heute im Kindergarten?« fragte ich Kirby.
»Mag ich nicht sagen.«
Ich antwortete nicht, machte stattdessen nur meine patentierte Geste mitndem Kopf, welche soviel wie »Kann ich nachvollziehen.« ausdrückt. Ein paar Momente später kam dann eine Antwort, mit der ich nicht rechnete:
»Ich habe Felix im Gesicht geschlagen.«
»Aha. Wieso denn?« Ich war überraschend ruhig. Es stellte sich heraus: Der wollte nur als nächster das Spielzeugauto haben, das Kirby gerade hatte. Beim Gespräch mit den Pädagogen stellte sich heraus, da wurde niemand geschlagen, es wurde nicht einmal gestritten. Es wäre aber interessant zu erfahren, wieso Kirby vom Schlag ins Gesicht sprach.
An einem anderen Tag war der Sachverhalt eindeutig; da zerriss Kirby einen Spielzaun aus Holz. Man sagte ihm, er sei nicht stark genug, und da meinte er, sich beweisen zu müssen — war eine von vielen Erklärungen, die alle Sinn machten. Hier entschieden wir, dem Kindergarten eines unserer Spielzeuge zu spenden.
Wir versuchten auch, Kirby zu vermitteln wie man mit Wut umgehen könnte. Man muss dabei aber auch immer daran denken, hier ist ein Kind, dem die ganze Welt zu groß erscheint; dass auf gewisse Art auch weiß, dass die Erwachsenen auch nur auf Sicht fliegen; der ständig mit der Angst lebt, für sein Verhalten korregiert zu werden; manchmal für dessen Unbeholfenheit belacht, und später wieder gescholten wird. Da nimmt man schon einmal ein Stück Spielzaun und baut daran Frust ab.

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An einem »freien« Machmittag setzte ich mich mit dem ganzen japanischen Material das ich zu Shin Ultraman zusammengetragen hatte hin, und ließ es mir durch Google Translate übersetzen. Das lief überraschend schnell und angenehm ab. Ich fotografierte die Seiten, und die Übersetzung war manchmal ein wenig … umständlich formuliert, aber der Sinn war nachvollziehbar, und eine professionelle Übersetzung eines Artikels aus dem PEN Magazine, die ein paar Stunden nach »meiner« erschien, bestätigte mir dies.
Ich bin schon ganz narrisch darauf den Film. Durch das Begleitmaterial, die paar Schnipsel die Tsuburaya veröffentlichte und die Besprechungen von Expats bzw. englischsprachigen Japaner sind sich einig darin, dass der Film sich seeeeehr tief und breit an den Vorlagen aus den 60er Jahren bedient — Ultra Q und Ultraman.
Neben den Magazinen, dem Begleitbuch und einem Buch über den Designprozess, habe ich nun auch noch einen Haufen Figuren dazu. Kirby gefallen sie auch. Hach … wann werde ich jemals — annähernd — erwachsen?

/ 2022. Juni. 1-4.
/ #journal

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