wohin gehts?

Einer der Liebhaberkollegen—der mit dem Herzproblem—verkündete mit seiner Rückkehr aus dem Krankenstand, dass er ab August in seinem eigenen Unternehmen werken wird. Ich konnte darüber lachen; vor Freude, weil er hart dafür arbeitete sein Unternehmen zu schaffen; aus Schadenfreude, weil der Chef noch sagte »Das schaue ich mir aber an.« als der Liebhaberkollege seine Absicht im Februar ankündigte.
Aber, wo eine Tür zufällt, ist ein Fenster offen; ein ehemaliger Lehrling, der inzwischen in der Welt Erfahrung sammelte, kehrt wieder zurück. In den letzten beiden Jahren brachte ihn immer jeder ins Gespräch wenn es um Neubesetzungen ging, und wurde mit »Er ist kein Elektriker.« ruhiggestellt. Inzwischen wissen wir: Muss er nicht sein. Durch seine Ausbildung ist er dazu befähigt Reparaturen an elektrischen Anlagen durchzuführen, welche von einem konzesionierten Elektriker geprüft werden müssen. Das ist beim Rest der Abteilung ebenso. Es ist schade, dass er als Notnagel zurückkehrt, aber ich freu mich—trotz seiner anstrengenden Art—darauf zu sehen, wo er als Mensch steht, und was er mir alles beibringen kann.

Die Kollegin schlägt sich—meiner Meinung nach—sehr gut. Letztens hatten wir einen Job, der »aus dem Ruder lief«, und trotzdem behielt sie einen kühlen Kopf und handelte nach bestem Wissen und Gewissen. Die Produktion brauchte Gerät, welches wir an dem Standort lagern, und dieses wurde über die Jahre … mein erster Gedanke als ich die Sachen sah war »Jö, das gibts auch noch? Wieviele Generationen an Spinnen wohl darin aufwuchsen?« Es war eigentlich schön, wieder einmal den ganzen Tag zu laufen, und Lösungen zu improvisieren; der Zeitdruck im Nacken machte es unangenehm.
Aber zurück zur Kollegin; die verriet versehentlich ihren Gehalt, und begann damit eine Reihe von Gesprächen zum Thema Fairness. Und ich bin—Überraschung—nicht eindeutig in meiner Position dazu. Dasselbe Gespräch gab es auch, als ich anfing. Wie kommt es, dass Kollege XY sich das Gehalt hart ausverhandeln musste, das mir in den Schoß gelegt wird? In meinem Fall war es der damals Zuständige, der meine Gehaltsvorstellung als »sehr freundlich« bezeichnete, und die Summe erhöhte; die Kollegin spielte das Verhandlungsspiel und gewann. Wenn ich mich echaufieren muss, dann bleibt mir nur der Personalleiter. Der hat Einsicht in die Gehälter, und hätte darauf hinweißen können, dass die Summe dem Gehaltsschema der Abteilung nicht angemessen sei. So kann ich der Kollegin nur gratulieren.
Worüber niemand spricht, ist die Tatsache, dass in den knapp 20 Jahren die ich im Betrieb bin, die Kaufkraft entsprechend nachließ, und man das Gehalt der Kollegin in realisitische Proportionen setzen sollte. Aber das muss man Menschen erklären, die vom Elternhaus ins geerbten Eigenheim zogen und meinen , 1.000 Euro Arbeitslosengeld—ohne Befreiung von Rundfunkgebühren oder Verschreibungskosten—ist zu viel fürs nichtstun. Ob die das Geld ablehnen würden, wenn sie es einmal beziehen können?
Worüber man streiten kann, ist die Tatsache, dass unser Chef nie jemanden für eine Gehaltsanpassung vorschlug. Dieser Prozess ist im Haus anscheined normal, nur redete bis vor kurzem niemand darüber, weil es ja ohnehin in jeder Abteilung stattfand—bis auf Unsere. Nach einem Gespräch mit dem Chef meinte dieser, noch nie davon gehört zu haben, während Kollegen nicht mehr aufhören zu jauchzen, weil sie trotz Kurzarbeit und negativer Bilanz eine Gehaltserhöhung bekamen.
Wie geht man damit um? Ich weiß nicht wie ich das Thema gelassen ansprechen könnte, es geht ja dabei auch um die Wertschätzung meiner Arbeit. Es frustriert mich, explodieren zu müssen um gehört zu werden.
Ich sollte endlich kündigen. Vom ex-Liebhaberkollegen hört man allerdings keine »Nektar und Ambrosia« Geschichten aus »der Welt da draußen«. Nur von zu viel Arbeit, wenig finanziellem Dank und Leuten, die nach dem ersten Arbeitstag eine Tankstelle überfielen.

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Kirbys Gehör wird nicht besser. Der Operationstermin rückt zwar immer näher, ist aber noch soweit entfernt. Noch weiter, seit wir einen Unfall hatten. Kirby war mit dem Rad unterwegs, blieb nicht auf dem Gehsteig stehen—wir haben da eine Regel: er überquert eine Straße erst, wenn er dafür unser OK bekam—, ein Taxifahrer schien ihn beim abbiegen nicht bemerkt zu haben, und Kirby blieb mit dem Rad an dessen Heck hängen. Ich zog Kind und Fahrrad von der Straße. Kirby war nur geschockt. Der Zufall half mir in Form einer bekannten Pädagogin, die in der Nähe war, und Kirby mit einem »Trick« aus dem Schock holte. Der Taxifahrer kam ebenfalls zu uns gerannt, und wollte uns unbedingt ins nächste Spital fahren. Da wir in der Nähe eines Spitals wohnen, und Kirby keinen Kratzer aufwieß und aufmerksam war—»Bin ich in dein Auto gefahren?« fragte er den Fahrer.—lehnte ich danken ab. Aber wir tauschten Nummern aus, der Fahrer wollte wissen, wie es weiterging.
Den Rest der Strecke fuhr Kirby dann vorbildlich. Tags darauf war er wieder unkontrollierter unterwegs. Es ist schwer, ein Gleichgewicht in »der Leinenspannung« zu finden.
Z.B. schlägt er die Frau, wenn ihm eine ihrer Entscheidungen nicht passt. Er zeigt danach zwar Reue und entschudligt sich, aber die Impulskontrolle fehlt ihm. Also verräumten wir letztens ein paar Spielzeuge, bis er sich wieder beruhigt. Wir versuchen, bedürfnisorientiert zu erziehen, aber im Kindergarten hört man nur »Es passt eh alles.« und wenn man versucht eine Kausalitätskette für seine Emotionen zu finden hört man nur »Weiß ich nicht.«. Aber was erwarte ich auch von einem Kleinkind? Erwachsene brauchen dafür auch Zeit. Da spielt meine Furcht davor mit, zu versagen. Zum Glück reagierte ich nach dem Unfall nicht mit lautem Tadel, sondern mit »Na servas, was ist denn da passiert? Haben wir uns jetzt beide erschreckt, gö? Tut dir etwas weh? Gut, dass du einen Helm aufhattest. Du hast mich wohl nicht gehört. Jetzt wissen wir, warum wir vor der Straße warten.«
Am Folgetag war ich auf dem Spielplatz vorsichtiger im Umgang mit ihm als sonst, was die amwesenden Mütter amüsierte.

Kirby merkte sich, dass Bärentierchen-artige Organismen auf uns Leben, und nachdem er erfuhr wie Kopfläuse funktionieren fragte er »Und die anderen Monster in unseren Haaren lassen wir in Ruhe?«. Es dauerte bis mir dämmerte, worauf er sich bezog.

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Wenn man die USA als »Leitmedium« des Westens betrachtet, wurde einem ja bisher schon schlecht, aber nun, wo auch noch das Recht auf Abtreibung vom Supreme Court abgesetzt wurde, weiß ich nicht mehr wohin mit allem. Denn in Europa erodierte der politische Boden ebenfalls, und momentan sind wir einen kalten Winter davon entfernt, dass die Lawine—offiziell—rechts abrutscht, und wir die Gesellschaft mit dem neoliberalen Mantra »Der Markt regelt sich selbst.« durchkämmen, mit den Menschen als Ware.
Wen wunderts, der Vatikan sieht in der Kriminalisierung von Abtreibung ein Urteil mit großer gesellschaftlicher Bedeutung. Der war aufgelegt[1].

Und weil wir gerade bei der Klientel sind: Wo sind die ganzen besorgten Bürger jetzt, wo es um Energiepreise und Mietsteigerungen geht? Mit freien Chakras kann man wohl problemlos frieren, und der Feng Shui trug einem die Summe, die man zum Ausgleich der Inflation braucht zur Tür hinein?

/ 24-26–Juni–2022
/ [1] Gerade der Verein, der synonym für den Missbrauch von nicht Abgetriebenen steht.
/ #journal #vaterfreuden #die Allgemeinheit #professioneller Alltag

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