Höhlengleichnis

Zu den Symptomen: Ich verliere ab und an die Stimme; für gefühlt eine Stunde. Meine sonstige Sprechstimme ist belegt. Und da ist ein permanenter, einmal mehr, einmal weniger wahrnehmbarer Schnupfen.
Mir geht zwar nicht schneller die Luft aus, die durch die Elternschaft bedingte Erschöpfung wurde belastender.
Beim Denken zerfranst nicht mehr alles so schlimm , eher muss ich darum bitten, dass Gesprächspartner etwas wiederholen bzw. nachfragen ob ich es richtig verstanden hätte.
Oft suche ich nach Worten, das Gefühl ist allerdings nicht … Sie liegen mir nicht auf der Zunge, sondern sind in einem Zimmer, dessen Schlüssel ich nicht finde.
Aber es wird besser.

Bei der jährlichen Blutuntersuchung stellte sich heraus, dass ich beim Herzinfarktrisiko an der Höchstpunktezahl kratze – das Spiel verliert man lieber. Es wurden Tabletten zur Senkung der Blutfette verordnet – ich bin da einen Verarbeitungsschaden geerbt –, ich nahm schon einmal ein anderes Präparat derselben Wirkstoffgruppe, setzte es wegen der Nebenwirkungen ab. Meine Beine schmerzten; mein damaliger Internist hatte das Selbe Problem, allerdings mit Kopfschmerzen. Mit der Einnahme werde ich warten, bis ich ein wenig flexibler mit meiner Zeit bin, damals hatte ich Momente an denen Bewegung nur unter Anstrengung möglich war.

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Auf dem Weg zum Arbeitsplatz sprach mich eine Straßenverkäuferin einer Obdachlosenzeitung an. Ich nahm eine Ausgabe ab, und da fragte sie, ob ich ihr Windeln für ihr Kind besorgen könnte. Im Markt kauften wir auch noch Zahnpasta und Zahnbürsten für die Kinder und Hygieneartikel für sie. Ich gab ihr auch noch das restliche Bargeld mit, dass ich eingesteckt hatte. Da bat sie mich um mehr, um die Miete zahlen zu können. Und in dem Moment dachte ich an mein Budget, das nicht üppig ist, aber ihres übersteigt, und sagte, dass sei alles was ich im Moment tun könne. Ich habe ein schlechtes Gewissen – das Gefühl, nicht genug getan zu haben.

Auf der Fahrt nach Hause von einem Job tratschte ich mit dem Fahrer über die österreichische Bürokratie. Da wurde er erst traurig, und erzählte mir davon, wie er beim Kauf einer Geschäftsimmobilie über den Tisch gezogen wurde, und die offenen Rechnungen des Verkäufers erbte, bevor er lauter wurde, und den Mord an dessen Nachkommen und deren Nachkommen versprach – mit einer Schusswaffe imitierenden Hand. Er versicherte mir, dass er zuversichtlich in die Zukunft schaue. Mehr als «Ich hoffe es.» fiel mir als Antwort nicht ein.

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Nach 26 Jahren Pause war ich Eislaufen. Natürlich vergaß ich dabei ein zweites Paar Socken mitzunehmen. Deswegen schien es zwar, als hätten die Leihschuhe versucht, mir die Füße an den Knöcheln abzunagen, bei der optischen Kontrolle am Ende waren es dann «nur» Druckstellen. Die Motivation dazu, sich wieder aufs Eis zu stellen kam von Kirby. Der ließ das letzte Jahr das Eislaufen aus, verlernte in der Zeit aber nichts.
Mir wurde der Trubel dann zu viel.

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Thomas Brezina ist 60. Vor dem hätte ich mich schon zu meiner Schulzeit in einem brennenden Haus versteckt. Man erzählte mir immer wieder wie toll die Bücher sind, und in einem Moment der Schwäche kaufte ich ein Buch der Knickerbocker Bande. Joa, eh; wenn man gerade nix wichtigeres hat, über das man sich aufregen kann ist es brauchbar. Wie gesagt, während der medialen Lobhudelei fragte ich mich immer wieder, wer den Geschmacksverwirrter ist/war – und was es mit dem Schmalz auf sich hat.
Ein Tom Turbo Buch kaufte ich, weil die Figur auf dem Cover mich an Samus Aran erinnerte.

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Die Zeit die ich alleine mit Kirby verbrachte war anstrengend. Als die Frau die Tür aufsperrte, fühlte ich, wie sich mein Hintern entspannte. Der war zwei Tage verkrampft, ohne dass ich es mitbekam.
Dabei ist das Kind pflegeleicht. Ja, wir schauten ein wenig mehr Pingu als üblich, aber wir bauten auch ein Schattentheater.

Momentan hat Kirby Angst vor Monstern. Dabei hat er begriffen, dass diese nur in seinem Kopf sind – sehr reflektiert für sein Alter, aber er kann nicht über seinen Schatten springen, obwohl er in diesem … «Höhlengleichnis» in dem er sich befindet weiß, dass er nur ein Schattenspiel beobachtet und der Ausgang vorhanden ist.
Aber da ist er wie ich. Es ist oft so schlimm, dass wir uns nicht abwenden können.

Papas machen das

Kirby und ich stießen beim stöbern auf eine neue Lego Marke: Monkie Kid. Keiner von uns hatte davon gehört, aber als wir den Ultra Mech sahen, wollten wir alles darüber wissen.
Orientiert sich an chinesischer Folklore[1] welche mit Sci-Fantasy aufgepeppt wird. Mein Favorit ist die Mondkuchenfabrik.

Kirby fürchtet momentan von uns alleine gelassen zu werden. «Dafür bin ich noch nicht alt genug.» sagt er oft, wenn ich aufs Klo gehe. Ich lasse dann immer alle Türen – auch die vom Klo – offen, und lasse ihn meine Selbstgespräche belauschen. Die Frau kann das nicht; ihr kostet es schon Überwindung, die Klotüre unversperrt zu lassen.
Es geht einiges vor in dem jungen Mensch. Er fragt wirso wir Tiere essen, wieso wir nicht wieder Menschen nach deren Tod mumifizieren, was wir mit dem Wort «Monster» meinen, wieso man manchmal gemein ist, und wieso mir das Rauchen schmeckt. Das ich Nichtraucher bin, vergaß er wieder, als er einen anderen Vater vor dem Kindergarten eine Zigarette rauchen sah. «Papas machen das.» wurde ihm von dessen Kind gesagt. «Ich nicht.» sagte ich Kirby, «Ich fahre ja auch kein Auto.» Darauf kam eine gute Lösung von ihm: «Ich mach dir einen Führerschein, ich mach die bestesten im Universum.». Damit sollte ich auch den Mars Rover fahren dürfen.

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Als Elternteil fällt mir immer öffer auf, das die Empathiefähigkeit der Gesellschaft abnimmt; und dass ich da ebenfalls betroffen war, bevor ich Vater wurde. Es fiel mir wieder auf als ich einen kinderlosen Kinderarzt von unfähigen Eltern sprechen hörte. Nicht, dass ich mich für einen fähigen Vater halte – das Gegenteil ist der Fall – aber in der Leistungs- und Selbstoptimierungsgesellschaft funktioniert man mit Kind am effektivsten, wenn man genug Geld auf dessen Betreuung werfen kann bzw. ein Elternteil beim Kind bleiben kann.
Im Fall des Arztes ging es unter Anderem darum, dass es ein Elternpaar nicht schaffte, beim Tod ihres Kindes im Spital zu sein. Ja, ich kann die Empörung nachvollziehen, mein Beißreflex wurde durch die Geschichte ebenfalls ausgelöst; aber könnte ich dabei sein, wenn Kirby seinen letzten Atemzug macht? Die Moral gebietet es, ich habe sein Leben begonnen, und wenn die Möglichkeit besteht, sollte ich auch am Ende dabei sein. Aber wir sind Menschen, haben einen Fluchtteflex, und vielleicht schafft man es nicht dabei zu sein, wenn ein geistloser Körper, dessen Funktion nurmehr durch externe Mittel gewährleistet wurde, sich selbst überlassen wird. Erst recht nicht, wenn der Körper einst Teil von einem selbst war, und der ehemalige Bewohner der liebste Mensch.
Und wir sind wieder bei fehlende Empathie; alleine möchte ich auch nicht sterben. Außer bei einem Suizid.

[1] Zur chinesischen Folklore sagte mir der Hinterkopf «Logisch, du gehst als Firma dort hin, wo die Mittelschicht hingeht.», gleichzeitig hört man, dass die Wirtschaft in China auch nicht mehr so stark wächst.

38,71

In den letzten Wochen kam ich täglich ein einem Erotik Shop vorbei. Der sperrte in den frühen 90ern auf, und war damals Bezirksgespräch; ein großes Ladenlokal, rote, große Beschilderung und eine Laufschrift, direkt neben einer Straßenbahnlinie, welche nicht nur an einem Amtsgebäude, sondern auch an einem großen Bahnhof vorbeikommt. Damals war ich weniger um die Verrohung meiner Seele besorgt, wenn ich an dem Geschäft vorbeikam, sondern was die Werbung mit »Barrierefrei« meinte. Muss man sich woanders erst einmal durch einen Hindernissparkour arbeiten, bevor man um viel Geld an seine Wichsvorlagen kommt? Hoffentlich stehen die Kalt- und Heißgetränke nicht am Beginn des Hindernisslaufs… Heute weiß ich, öha, die waren sehr progressiv für ihre Zeit. Von dem ist heute nicht mehr viel über. Da stehen noch ein paar Mannequins in den Auslagen, die aussehen, als würden sie einen Rave besuchen wollen, der … der Vorstellung eines Raves von christlichen Mittelschichtlern entspricht. Was mich allerdings seit ein paar Tagen beschäftigt ist die Werbebotschaft des Geschäfts, welche in den frühen 2000ern auf »Erotic Lifestyle« geändert wurde. Denkt der Durschnittsösterreicher, dass Erotik bedeutet, peinlich berührt, in billiger pseudo-Fetischbekleidung im finsteren Schlafzimmer zu stehen? Muss man für Erotik immer seine Nein-Neins betonen/zeigen/offensichtlich verhüllen? Erotik und Sexualiät ist doch etwas, dass die ganze Zeit stattfindet. Auch wenn wir nicht bewusst daran denken, erzeugt unser Körper Pheromone, Hormone usw.. Es ist kein Wunder, dass sich viele Heterosexuelle momentan bedroht durch »Andersliebende« fühlen, wenn sie vielleicht ihre eigene Sexualität nicht offen ausleben dürfen bzw. sich nicht trauen es zu tun.
Ich lernte aber, dass der durchschnittliche Österreicher annimmt, Schweinderl und Muh-Kuhli werden eines Tages im Feng-Shui Stall zu den sanften Klängen der Windspiele munter, fliegen auf einer Wolke in ein großes Gebäude, wo sie noch einmal ein Festmahl mit ihren Freunden — untermalt von der Best Of des Klangschalen Fritz — genießen, bevor sie gaaaanz müde werden, und friedlich einschlafen. Und während sie da rasten, zefallen sie auf Kotlets, die dann um 10cent pro Kilo auf unseren Tellern landen, frei von Anti- und Probiotika. Und pro Tier bekommt der Bauer eine Scheibtruhe voller Gold.

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Ich nehme vieles zurück, Kirby hört tatsächlich besser; und manchmal ist das erschreckend für ihn. Während eines Besuches in einem Wildtierpark erlebten wir je einen Streit in den Haus- und Wildschweingehegen, dessen Lautstärke ihn erschütterte. »Schweine können so laut sein?« fragte er uns.
In den letzten Tagen spielen wir beinahe täglich mit Figuren, und das Kleine Welt-Spiel zeigt, wie aufmerksam er ist. Wir richteten Käfige ein; betrieben Geo-Engineering; kauften in Kirby’s Geschäft ein; verarzteten diverse Wehwehs; die Pingunine fuhren Eis essen. Bei kassieren gefiel mir, dass er nicht einfach ein paar gerade Summen als Preis nannte, sondern noch ein paar Kommazahlen hinzufügte — 38,71 blieb bei mir hängen. Werden andere Kinder sicher auch sagen, und ich lobe meines über den Klee — das sagt man so, oder?

Sein Schlafverhalten ist momentan nicht deut- bzw. beeinflußbar. Es findet momentan wieder Entwicklung statt, und da schlief er immer unruhig. Man bemerkt nach ein paar Tagen dann, wie seine Feinmotorik sich verbessert, oder er Interesse an neuem zeigt.
Bei einem Abstecher zu einem Buchhändler marschierte er geradewegs zu den Comics, und schnappte sich einen Agentencomic auf dessen Cover jemand überfahren wird. Die Frau und ich überstürzten uns bei dem Versuch, ihm vor dem aufschlagen des Comics abzuhalten. Er entschied sich dann dafür, durch Simon & Louise zu schauen; was für sein Alter auch nicht geeignet ist, aber besser ist, als ein Spionageschinken. Simon & Louise habe ich in der englischen Fassung im Regal, zu Hause fand er es im Regal. Und dabei fiel ihm auch ein anderer Commic auf: Lehmriese lebt!. Das lasen wir dann bei 15 Mal. Jetzt weiß er ungefähr, was ein Golem ist.

Im Kindergarten gab es Probleme mit einem seiner Freunde. Der war wohl frustriert, weil seine Eltern gerade mit seinem Geschwisterkind beschäftigt sind, und sie ihn früher auch den Großteil ihrer Zeit vor dem Fernseher parkten. Das ließt sich wahrscheinlich wie ein Vorwurf, aber ich kann verstehen, dass die Eltern überfordert sind bzw. ihnen beruflich so viel abverlangt wird, dass sie in der Freizeit auch erst einmal eine Weile sitzen müssen. Das ganze klärte sich recht schnell auf, brauchte bis dahin aber ein paar verheimlichte Schläge und Zwicken und Stoßen. Und hier war es ein vertrautes Umfeld, in dem man über die Parameter bescheid wusste, und in dem die anderen Kinder deren Freund schützen, und dessen Verhalten stumm akzeptieren — bis eben einer nicht mehr konnte. Nun war es am Spielplatz so, dass da ein Kind Kirby ziemlich unfreunldich in die Wange zwickte. Zwar entschuldigte sich die Mutter bei mir, und ich denke dem Kind ging es nicht darum Kirby zu verletzten, sondern darum, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Es lächelte mich an als ich ihm mit erhobenem Zeigefinger die »Du Du« Geste zeigte. Hätte ich Kirby nicht anweißen sollen, sich zu wehren, zumindest ebenfalls ein Zwicken anzubringen? Die Frau sagt da immer, dass man die Kinder einfach machen lassen muss. Ja, man muss die Kinder machen lassen, aber am Ende der Rechnung sind es Kinder. Ähnlich trug es sich in meiner Kindheit zu, wenn ich von anderen geschlagen wurde, wurde mir verboten mich zu wehren, denn ich muss ja etwas gemacht haben, dass diese Handlung provozierte. Jetzt stehe ich da und raufe damit, mir für vieles die Schuld zu geben, auch wenn sie mir nicht zusteht, das möchte ich meinem Kind ersparen. Da werde ich wohl noch ein wenig mit der Frau darüber unterhalten müssen.

Der Spielplatz war auch ein Panoptikum der Existenzen: auf der einen Seite die Eltern die nur vom Job sprachen, morgen Projekt hier, dann ein paar Tage in der Flat in London, von dort nach Dubai wegen eines Projekts, und dann ist da ja noch das Haus in Spanien wo man zumindest einmal den Postkasten ausleeren könnte; und auf der anderen Seite ein Vater, der sein Kind mit „Gib mir 20 du Bitch.“ zu Liegestützen motiviert.

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Im professionellen Alltag trafen neue Kollegen ein. Einer davon hat das Handwerk bei uns ver … gelernt, und man merkt: seit er den schoß der beruflichen Eltern verließ, gewann er einiges an Erfahrung. Deswegen muss man ihm erst wieder vermitteln, dass bei uns der Rhytmus der Trommel ein anderer ist. Was mich überraschte ist, wie wenig neues fachliches Wissen er mitbrachte. Das soll nicht heißen, dass er unqualifiziert ist, sondern wieviele Arbeiten in der großen Welt von eigens qualifiziertem Personal verrichtet wird. Und er verlässt seine Arbeitsplätze chaotischer als bei seiner Ankunft. Ich rief ihm am Ende der ersten Arbeitswoche an, und sagte ihm, er solle sein Zimmer aufräumen.
Und dieser launisch formulierte Ordnungsruf drückt ein Problem aus, dass ich momentan am Arbeitsplatz habe: ich bin eine Art Abteilungspapa. Schauen wir einmal wo sich das hin entwickelt.
Beim neuen neuen Kollegen … schauen wir einmal. Ich denke, der muss sich einfach erst bei uns einfinden, und dann wird das schon laufen.

Ich bin im Moment … es fühlt sich an, als würde mich etwas festhalten. Sowohl meinen Körper als auch meine Gedanken. Vielleicht bin ich einfach nur erschöpft. Erschöpfter.

Blutarmut

Ich dachte nie das es jemals soweit kommen wird: ich ging mehrere Abende in Folge bereits vor 20:00 ins Bett. In den letzten Wochen fühle ich mich weder wach oder müde, sondern entweder, als ob ich kurz davor bin einzuschlafen, oder kurz nachdem ich aufwache. In Kombination mit einem Muskelkater.

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Die moderne Erziehung erklärte mir, wie man die Bezeichnungen »richtig« und »falsch« aus der Sprache streicht, um das Selbstbild des Kindes zu festigen. Prinzipiell finde ich diese Methode in Ordnung, weil es einem auch selbst hilft, bewusster zu sprechen—und bewusstes Sprechen räumt so viele Hindernisse, die zwischen Menschen stehen können aus dem Weg.
Bei so manchem Beispiel geht mir allerdings der Feidl[1] auf: »Die Erde ist eine Scheibe? Ich habe da andere Informationen; lass uns einmal nachlesen.«. Ja, und was steht dann so auf dieerdeisteinescheibe24.de? In vielen Bereichen muss es ein »Das ist falsch weil… « geben, weil wir sonst nurmehr besorgte Bürger erziehen, die in den Standorten von Fastfood Ketten nach entführten Kindern suchen.

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Ist ein alter Hut, aber er passt immer noch: die »Oasen der Ruhe«, die mir mein Therpeut zu finden riet. Jetzt stehe ich schon um 04:30 auf—um 05:00 müsste ich—, was mir bis vor Kirbys Geburt 30 Minuten Stille verschaffte. Inzwischen steht die Frau aber auch auf, und durch ihr Asthma, hustet sie dann eben lang und oft. Und beim Umrühren des Kaffees hebt sie Gruben im Boden der Tasse aus, was durch das Arbeitsgeräusch des Druckers untermalt wird. Vor Kirby fand das im Arbeitszimmer statt.
Auf dem Weg zur Arbeit sind es dann die Leute die nach Zigaretten fragen. Und die kürzlich enstandenen Tourettepatienten, die Sätze wie »IHR SEID DOCH ALLE SCHLAFSCHAFE! MÄÄÄH! MÄÄÄH« rufen.
Dazu habe ich eine Idee: ich bau eine Bombenwestenattrape, und wenn wieder einex die Meinung auskommt, biete ich an, gleich alle in die Luft zu sprengen. Und wenn dex—hoffentlich—seinex Meinung in die Hand nimmt, drücke ich den Auslöser und es spielt irgendein Lied. Kool and the Gangs Celebrate z.B..

Und weil wir gerade bei Hirten sind: Österreichs Blutkonserven waren schon lange nicht mehr so knapp wie momentan. Man brachte Triagemaßnahmen ins Gespräch. Und was sagen die Hirten im professionellen Alltag? »Ha, ich brauch mir um die Teuerung keine Sorgen machen, der Mangel kommt davon, dass man Impflingblut nicht verwenden kann, und mein reines Blut ist Gold wert.«. Ich riet den Gewinn maximal auszureizen, und das gesamte flüssige Gold auf einmal abzugeben.
[Inzwischen] Ein Kinderspital in Österreich begann damit, Operationen abzusagen; in Niederösterreich werden ebenfalls Eingriffe verschoben.

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Eight Billion Genies ist besser als ich dachte. Vom letzten Comic von Charles Soule und Ryan Browne war ich enttäuscht—vor allem nachdem Ryan Browne sich über Kickstarter die ultimative ultimaitve Ausgabe von God hates Astronauts finanzieren ließ; bis er dann draufkommt, dass er ja noch ein paar Ideen dafür hat—, aber das hier ist einmal interessant. Die Geschichte: Plötzlich erscheinen Geister auf der Erde, für jeden Menschen einer, die einem einen Wunsch erfüllen. Wahnsinn bricht aus. Der Plot fokusiert auf eine Gruppe von Menschen in einer Bar in den USA, und wie diese die ersten acht Sekunden nach dem erscheinen der Geister erleben in Heft eins; acht Minuten in Heft zwei; usw.. Die Idee, die Zeit so zu strecken ist gut, weil man somit Progression Raum gibt; man schiebt dem »decompressed storytelling« einen Riegel vor. Ich denke, deswegen gefällt es mir so gut, weil die Autoren sich dazu zwingen, immer schneller zu erzählen. Oder einen Trick haben, den ich nicht kommen sah.
[Inzwischen] Ich muss wohl alles zurücknehmen… Die Beiden haben die Verwurstungsrechte an Amazon verkauft, als Executive Producers. Ich nehme an, das wird Veröffentlichungsverzögerungen mit sich bringen.

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Ich kam endlich dazu, das erste Heft von Daniel Warren Johnson’s Do A Powerbomb zu lesen. Der Tritt einem wieder in die emotionalen Weichteile, und illustriert es in seinem hyperrealen Stil, der die interpretation des beim Wrestling gesehenen für Aussenstehende abbildet.

Szene aus Do A Powerbomb
aus Do A Powerbomb no.1 (2022)

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Die Gruppe an Klienten, die sich in She-Hulk no.4 (2022) fand ich interessant. Das fehlt seit langem, ein Comic in dem Jen Walters wieder primär Anwältin ist. Karnak’s Anwesenheit war ein »Aha?« Moment, dabei war er wegen der Punchline da; was die Figur präzise beschreibt.

aus She-Hulk no.4 (2022)

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Der Soundtrack von Shin Ultraman kam an, und es ist schön, all die klassischen Themen aus der 1966er Serie auf CD zu haben.

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Über Enternainment Earth bekam ich den ersten Blick auf die Filmversion von Doctor Fate—in Spielzeugform. Joaaaaa, das Brustharnisch ist mir zu verschnörkelt, aber die fehlenden Sichtschlitze auf dem Helm sind eine gute Idee—weil Kent Nelson ja oftmals nur seinen Körper hergibt, und Nabu seine Augen nicht benötigt.

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Kirby Antworten sind immer sehr spezifisch; letztens antwortete er auf meine Frage danach, was er denn baue: »Ich baue eine Zelle; aber nicht wie eine im Körper, sondern wie im Gefängnis.«. Und dann ist da ein Haufen Kleinigkeiten, die er vor Ewigkeiten aufschnappete und merkte.
Inzwischen schwimmt er—mit Schwimmscheiben, aber er schwimmt. Als Hydrophober war das ein sehr schöner Anblick.

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Fand diese Schreibtinte: Tesla Coil von Birmingham Pens.
Versand nur in den USA… Höchstwahrscheinlich sollte man auch nur ein dezidiertes Schreibgerät damit verwenden bzw. bei einem Tintenwechsel—nach einer gründlichen Reinigung—nurmehr mit einer Pipette oder Spritze befüllen.

/ 29–Juni – 1–Juli–2022
/ [1] Feidl = Messer; meißt Taschenmesser
/ #journal #schreiben #die allgemeinheit #comics #ultraman #vaterfreuden
/ Bildrechte liegen bei den Urhebern

wohin gehts?

Einer der Liebhaberkollegen—der mit dem Herzproblem—verkündete mit seiner Rückkehr aus dem Krankenstand, dass er ab August in seinem eigenen Unternehmen werken wird. Ich konnte darüber lachen; vor Freude, weil er hart dafür arbeitete sein Unternehmen zu schaffen; aus Schadenfreude, weil der Chef noch sagte »Das schaue ich mir aber an.« als der Liebhaberkollege seine Absicht im Februar ankündigte.
Aber, wo eine Tür zufällt, ist ein Fenster offen; ein ehemaliger Lehrling, der inzwischen in der Welt Erfahrung sammelte, kehrt wieder zurück. In den letzten beiden Jahren brachte ihn immer jeder ins Gespräch wenn es um Neubesetzungen ging, und wurde mit »Er ist kein Elektriker.« ruhiggestellt. Inzwischen wissen wir: Muss er nicht sein. Durch seine Ausbildung ist er dazu befähigt Reparaturen an elektrischen Anlagen durchzuführen, welche von einem konzesionierten Elektriker geprüft werden müssen. Das ist beim Rest der Abteilung ebenso. Es ist schade, dass er als Notnagel zurückkehrt, aber ich freu mich—trotz seiner anstrengenden Art—darauf zu sehen, wo er als Mensch steht, und was er mir alles beibringen kann.

Die Kollegin schlägt sich—meiner Meinung nach—sehr gut. Letztens hatten wir einen Job, der »aus dem Ruder lief«, und trotzdem behielt sie einen kühlen Kopf und handelte nach bestem Wissen und Gewissen. Die Produktion brauchte Gerät, welches wir an dem Standort lagern, und dieses wurde über die Jahre … mein erster Gedanke als ich die Sachen sah war »Jö, das gibts auch noch? Wieviele Generationen an Spinnen wohl darin aufwuchsen?« Es war eigentlich schön, wieder einmal den ganzen Tag zu laufen, und Lösungen zu improvisieren; der Zeitdruck im Nacken machte es unangenehm.
Aber zurück zur Kollegin; die verriet versehentlich ihren Gehalt, und begann damit eine Reihe von Gesprächen zum Thema Fairness. Und ich bin—Überraschung—nicht eindeutig in meiner Position dazu. Dasselbe Gespräch gab es auch, als ich anfing. Wie kommt es, dass Kollege XY sich das Gehalt hart ausverhandeln musste, das mir in den Schoß gelegt wird? In meinem Fall war es der damals Zuständige, der meine Gehaltsvorstellung als »sehr freundlich« bezeichnete, und die Summe erhöhte; die Kollegin spielte das Verhandlungsspiel und gewann. Wenn ich mich echaufieren muss, dann bleibt mir nur der Personalleiter. Der hat Einsicht in die Gehälter, und hätte darauf hinweißen können, dass die Summe dem Gehaltsschema der Abteilung nicht angemessen sei. So kann ich der Kollegin nur gratulieren.
Worüber niemand spricht, ist die Tatsache, dass in den knapp 20 Jahren die ich im Betrieb bin, die Kaufkraft entsprechend nachließ, und man das Gehalt der Kollegin in realisitische Proportionen setzen sollte. Aber das muss man Menschen erklären, die vom Elternhaus ins geerbten Eigenheim zogen und meinen , 1.000 Euro Arbeitslosengeld—ohne Befreiung von Rundfunkgebühren oder Verschreibungskosten—ist zu viel fürs nichtstun. Ob die das Geld ablehnen würden, wenn sie es einmal beziehen können?
Worüber man streiten kann, ist die Tatsache, dass unser Chef nie jemanden für eine Gehaltsanpassung vorschlug. Dieser Prozess ist im Haus anscheined normal, nur redete bis vor kurzem niemand darüber, weil es ja ohnehin in jeder Abteilung stattfand—bis auf Unsere. Nach einem Gespräch mit dem Chef meinte dieser, noch nie davon gehört zu haben, während Kollegen nicht mehr aufhören zu jauchzen, weil sie trotz Kurzarbeit und negativer Bilanz eine Gehaltserhöhung bekamen.
Wie geht man damit um? Ich weiß nicht wie ich das Thema gelassen ansprechen könnte, es geht ja dabei auch um die Wertschätzung meiner Arbeit. Es frustriert mich, explodieren zu müssen um gehört zu werden.
Ich sollte endlich kündigen. Vom ex-Liebhaberkollegen hört man allerdings keine »Nektar und Ambrosia« Geschichten aus »der Welt da draußen«. Nur von zu viel Arbeit, wenig finanziellem Dank und Leuten, die nach dem ersten Arbeitstag eine Tankstelle überfielen.

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Kirbys Gehör wird nicht besser. Der Operationstermin rückt zwar immer näher, ist aber noch soweit entfernt. Noch weiter, seit wir einen Unfall hatten. Kirby war mit dem Rad unterwegs, blieb nicht auf dem Gehsteig stehen—wir haben da eine Regel: er überquert eine Straße erst, wenn er dafür unser OK bekam—, ein Taxifahrer schien ihn beim abbiegen nicht bemerkt zu haben, und Kirby blieb mit dem Rad an dessen Heck hängen. Ich zog Kind und Fahrrad von der Straße. Kirby war nur geschockt. Der Zufall half mir in Form einer bekannten Pädagogin, die in der Nähe war, und Kirby mit einem »Trick« aus dem Schock holte. Der Taxifahrer kam ebenfalls zu uns gerannt, und wollte uns unbedingt ins nächste Spital fahren. Da wir in der Nähe eines Spitals wohnen, und Kirby keinen Kratzer aufwieß und aufmerksam war—»Bin ich in dein Auto gefahren?« fragte er den Fahrer.—lehnte ich danken ab. Aber wir tauschten Nummern aus, der Fahrer wollte wissen, wie es weiterging.
Den Rest der Strecke fuhr Kirby dann vorbildlich. Tags darauf war er wieder unkontrollierter unterwegs. Es ist schwer, ein Gleichgewicht in »der Leinenspannung« zu finden.
Z.B. schlägt er die Frau, wenn ihm eine ihrer Entscheidungen nicht passt. Er zeigt danach zwar Reue und entschudligt sich, aber die Impulskontrolle fehlt ihm. Also verräumten wir letztens ein paar Spielzeuge, bis er sich wieder beruhigt. Wir versuchen, bedürfnisorientiert zu erziehen, aber im Kindergarten hört man nur »Es passt eh alles.« und wenn man versucht eine Kausalitätskette für seine Emotionen zu finden hört man nur »Weiß ich nicht.«. Aber was erwarte ich auch von einem Kleinkind? Erwachsene brauchen dafür auch Zeit. Da spielt meine Furcht davor mit, zu versagen. Zum Glück reagierte ich nach dem Unfall nicht mit lautem Tadel, sondern mit »Na servas, was ist denn da passiert? Haben wir uns jetzt beide erschreckt, gö? Tut dir etwas weh? Gut, dass du einen Helm aufhattest. Du hast mich wohl nicht gehört. Jetzt wissen wir, warum wir vor der Straße warten.«
Am Folgetag war ich auf dem Spielplatz vorsichtiger im Umgang mit ihm als sonst, was die amwesenden Mütter amüsierte.

Kirby merkte sich, dass Bärentierchen-artige Organismen auf uns Leben, und nachdem er erfuhr wie Kopfläuse funktionieren fragte er »Und die anderen Monster in unseren Haaren lassen wir in Ruhe?«. Es dauerte bis mir dämmerte, worauf er sich bezog.

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Wenn man die USA als »Leitmedium« des Westens betrachtet, wurde einem ja bisher schon schlecht, aber nun, wo auch noch das Recht auf Abtreibung vom Supreme Court abgesetzt wurde, weiß ich nicht mehr wohin mit allem. Denn in Europa erodierte der politische Boden ebenfalls, und momentan sind wir einen kalten Winter davon entfernt, dass die Lawine—offiziell—rechts abrutscht, und wir die Gesellschaft mit dem neoliberalen Mantra »Der Markt regelt sich selbst.« durchkämmen, mit den Menschen als Ware.
Wen wunderts, der Vatikan sieht in der Kriminalisierung von Abtreibung ein Urteil mit großer gesellschaftlicher Bedeutung. Der war aufgelegt[1].

Und weil wir gerade bei der Klientel sind: Wo sind die ganzen besorgten Bürger jetzt, wo es um Energiepreise und Mietsteigerungen geht? Mit freien Chakras kann man wohl problemlos frieren, und der Feng Shui trug einem die Summe, die man zum Ausgleich der Inflation braucht zur Tür hinein?

/ 24-26–Juni–2022
/ [1] Gerade der Verein, der synonym für den Missbrauch von nicht Abgetriebenen steht.
/ #journal #vaterfreuden #die Allgemeinheit #professioneller Alltag