Seit dem Ende meines letzten Urlaubes im August, hatte ich – gefühlt – keinen freien Tag mehr. Im Oktober war es tatsächlich so – ohne dem Eingriff am Hoden, hätte ich während des ganzen Monats nur einen geplanten freien Tag gehabt. Ein Ergebnis der Personalpolitik bzw. der Personalsituation und des übereifrigen Veranstaltungsbetriebes.
Wie lange das noch so weitergehen kann … man spricht es im Betrieb nicht laut aus: die Zeiten voller Häuser sind vorbei. Ich erfuhr dies am eigenen Leib, als ich Karten für Weird Al besorgte. Kultur ist das erste das einem aus der Hose fällt, wenn der Gürtel enger wird.
Deswegen sorge ich mich darum, was an Kultur nach dieser Ausdünnung über bleibt. Intellekt ist in Österreich nicht nur Fremdwort sondern beinah schon ein Verbrechen, und wenn wenn die Gerüchte stimmen, wetzen diverse Megachurches und sonstige Verstrahlte in Mitgliederwerbung zu investieren; in Veranstaltungsorten…
Der Betriebsrat informierte uns, dass es wegen unterschiedlichen Meinungen zwischen Betriebsräten und Geschäftsführung vielleicht zu einer Betriebsversammlung kommen könnte. Auf die Ankündigung, kam bei vielen der Österreicher durch – vor allem bei denen, deren Arbeitsplatzpersona sich zum großen Teil mit dem Kommentieren der schlechten Leistungen des Betriebsrates besteht. »Da schneiden wir uns ja ins eigene Fleisch.«. Falls es zu einer Betriebsversammlung kommt, überlege ich in die Fußstapfen von Opa Hopkins zu schlüpfen. Als der mit 14 die Schlosserausbildung begann, wurde einmal die Arbeit niedergelgt, und ihm die Aufgabe zuteil, Streikbrecher zum Überdenken aufzufordern. Dazu hatte er die Wahl zwischen eines Holzstaffels oder Eisenrohrs als Argumentationsverstärker. Die Leute, die meinten es wäre eine gute Idee gewesen zu Hause zu bleiben wurden von Anderen abgeholt, und wer es in den Büros aussaß, fasste auf dem Weg in den Feierabend ein paar Watschen aus. Der größte Gegner des Arbeiters ist der Arbeiter.
Wie wahr der Spruch doch ist … in den letzten Wochen machte ich dem zurückgekehrten Lehrling klar, dass wir Kollegen sind, keine Freunde. Wir blödeln und unterhalten uns übers Leben, aber wenn ich abgemeldet bin, war es das für mich; dann gilt nurmehr Lebensgefahr oder technisches Gebrechen als Kontaktgrund. Bei einem Nachtaufbau gerieten wir aneinander, weil er meinte den Abend mit einem Abendessen und Gelächter mit der Crew in Freizeit zu beginnen, weil ja eh nichts zu tun war. Es verging mehr Zeit als notwendig, bis er kapierte, welche Vorbereitugsarbeiten notwendig waren – dabei arbeitete er die letzten Jahre in großen Betrieben, die eine gewisse Professionalität fordern … bei einem Nachtumbau will man nicht länger als notwendig bleiben, weil man ab einem Punkt von der Müdigkeit eingeholt wird. Und dann kann es, je nach Verfassung, sehr zäh werden.
Im Frühling verlässt er uns wieder. Ist vielleicht besser. Der erhoffte Befreiungsschlag für ihn war die Rückkehr nicht.
Wir bekamen eine neue Auzubildende, die ich am liebsten wieder nach Hause geschickt hätte. Nicht weil sie fachlich unqualifiziert scheint, im Gegenteil, sie ist wissbegierig und geschickt – sie hilft mir bei vielen «kleinen» Arbeiten, weil sie einfach geschicktere Finger hat; ihre Lötstellen sind ein Traum –, aber menschlich wird sie bei uns wohl abgearbeitet. Ich bemühe mich, menschlich zu bleiben, aber man rutscht automatisch in diese Handwerker Rolle, diese toxische Scheiße die bei uns im Betrieb normal wurde. Die Arte Dokumentation Arbeit ohne Sinn kommt mir dazu in den Sinn, weil dieses Verhalten eine Art Traumabewältigung ist: man versucht die eigene Verletzung zu heilen, indem man sie weitergibt. Das gute alte Generationentrauma…
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Meine Hoden sind jetzt wieder in Ordnung – das Problem war nicht schlimm, sorgte lediglich für ein wenig »unwohlsein«.
Dabei möchte ich wieder allen Frauen, und besonders Müttern, meine Bewunderung aussprechen. Die Operation fand ambulant statt, und mir gingen vor Schmerzen beinahe die Lichter aus – der Chirurg und ich hatten meine Schmerzgrenze falsch ausgelotet; ich habe keine –, jede Geburt ist um ein vielfaches schmerzhafter, und nicht nach 25 Minuten vorbei. Und ich hatte wieder einen »Mhmm, Speck.« Moment, beim Geruch meines verbrannten Fleisches.
Es folgten zwei Tage «Tai Chi». Die Frau meinte die Sorgsamkeit und Geschwindigkeit meiner Bewegungen wirkte, als hätte ich die Bewegungslehre in meinen Alltag eingebaut. Auch jetzt zwickt und sticht es noch – mit stetig abnehmender Frequenz.
Außerdem fühlt es sich an als … als wäre es nicht mein Hoden. Das soll nicht heißen, dass ich meine ein Sackerl aus einem anderen Supermarkt an der Kasse hängen zu haben. Es wurden Dinge korrigiert, und jetzt passt sich der Körper an. Aber ich muss beim Halblotus das andere Bein nach oben legen.
Der Anhang meiner Hoden ist in schlechter Verfassung. Das könnte damit zusammenhängen, dass ich im heurigen Sommer neun Jahre ohne eine warme Mahlzeit feiere.
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Die neuen Mickey Mouse Kurzfilme sind überraschend gut. Bei seinem Opa laß Kirby ein lustiges Taschenbuch, und im Kindergarten erfuhr er, dass es Filme mit Mickey Mouse gibt, und bevor wir aufgeben und Paw-Patrol schauen, zeigten wir ihm eine Weihnachtskurzfilmsammlung – die überraschend antikapitalistisch gefärbt ist. Und von dort ging es weiter zu den Kurzfilmen, die mir seit Monaten von Bekannten aus Übersee empfohlen wurden.
Sein Gehör ist inzwischen wieder dort angelangt, wo wir vor einem Jahr waren. Der HNO reichte fürs erste Nasentropfen. Ich wünschte man hätte einfach die Paukenröhrchen eingesetzt…
Ansonsten entwickelt sich Kirby. Er will alles zählen; die Buchstaben benennen; wir diskutierten darüber, wieso man Hirne nicht einfach in Roboter pflanzt; zu Haloweenfeier im Kindergarten wollte er als Mitochondrium verkleidet werden – wobei wir uns darüber echauffierten, wieso der Elternverein auf der einen Seite ständig die Traditionskeule schwingt, und auf der Anderen Haloween feiern lässt.
Die Frage nach der Schule beschäftigt uns momentan. Die Suppe ist in unserer Gegend sehr dünn. Noch ist Zeit, aber nicht genug, um großartig wählerisch zu sein. Und die steigenden Kosten ließen ein paar Kandidaten ohnehin ausfallen.