vaterfreuden
Es wurde eine improvisierte Zusammenkunft der Eltern einberufen. Vor Ort—der Kindergarten stellte seine Räumlichkeiten zur Verfügung—, und mit manchen Eltern auf Bildschirmen anwesend. Dieses Mal waren es nicht nur die üblichen Verdächtigen dabei, beinahe die gesamte Elternschaft hatte sich eingefunden. Es ging um die Schuleinschreibung und die Erlebnisse der Anwesenden damit.
Es würde mich nicht wundern, wenn man in der Zukunft mitbekommt, dass die Verteilung der Kinder nurmehr maschinell durchgeführt wurde, und die Angabe von Wunschschulen lediglich ein Schnuller ist, der die Eltern beruhigen soll. Kein Wunsch wurde bei der Wahl der Bildungsdirektion berücksichtigt, sogar die Platzzusagen bei Geschwisterkindern wurde ignoriert—wird aber momentan evaluiert, bei einer Einschreibefrist bis März. Manche Kinder wurden nicht einmal in deren Sprengel eingeteilt, sondern werden auf irrwitzige Wege geschickt.
Anrufe bei der Bildungsdirektion brauchten eine entsprechende Geduld—die Situation ist nicht auf unsere Sprengel begrenzt—, und führten überraschend oft zu demselben Ende: «Wenn sie kein Einsehen haben, werde ich das Gespräch beenden.». Neuerdings melden sich Beamte auch nicht mehr mit Namen und geben einem auf Wunsch nicht mehr deren Dienstnummer. Und sie legen auch auf, wenn man mit deren Weisungsberechtigten sprechen möchte. Zwei Vorschläge gaben sie allen Anrufenden: Ziehen sie in ein anderes Bundesland; melden sie ihr Kind in einer privaten Einrichtung an.
Ein paar Familien werden im Sommer tatsächlich umziehen, nehmen das Pendeln in Kauf oder sind in einer ortsunabhängigen Beschäftigung. Die meisten Privatschulen, die zu Fuß erreichbar wären, sind überlaufen, was den Besuch der Anderen mit Pendeln gleichsetzt. Und die diversen Zeiten muss man noch mit den Arbeitszeiten der Eltern in Einklang bringen.
«Sind die sogenannten Brennpunktschulen wirklich so schlimm?» wurde in einer Pause für allgemeine Resignation gefragt, um die Stimmung vielleicht zu drehen. Das fragte sich ein Elternpaar ebenfalls, und vereinbarten einen Termin mit dem Direktor der Schule, die Kirby zugeteilt wurde. Vor Jahren hörte ich von Nachbarn meiner Eltern—Beamte bei der Exekutive—von den Gründen, weswegen sie bisher in diese Schule gerufen wurden, also war ich gespannt darauf, wie der Direktor der Schule sie den Beiden verkaufen würde. Ehrlich war der Direktor. Viele Lernziele würden die Eltern wohl extern vermitteln müssen, weil man sich darauf konzentriere, sprachliche Barrieren abzubauen; eine Dicke haut müsse man mitbringen, die Sozialisation der Eltern lasse schon zu wünschen übrig, aber man Prüfe, ob man Sicherheitspersonal engagieren könne, um Elternabende und Sprechtage ruhiger gestalten zu können, aber ein paar der Lehrer waren ehemalige Berufssoldaten, und hatten die Lage bisher im Griff.
Die Stimmung änderte sich nicht.
Ein paar Elternpaare erzählten von einem Schwarzmarkt für Meldeadressen, um sein Kind über diesen Weg in einer anderen Schule einschreiben zu können. Andere versuchten die Direktoren direkt zu bestechen—alle ohne Erfolg.
Es war kein schöner Abend. Kein «Kopf hoch.», «Das wird schon werden.» oder Schulterklopfen konnte die stille Verzweiflung verdrängen. Der Stau an Wut und Frust ließ die Luft dicker wirken, eine Barriere durch die sich die Versammelten ihre Bewegungen erringen mussten. Jeder wirkte langsamer, sparsam in deren Bewegungen. Vielleicht hätte es der psychische Hygiene mehr genutzt, wenn wir uns dort hingestellt, und geschrien und geweint und geflucht und gelaufen wären. Das innere Erleben externalisiert hätten, diesen ganzen abstrakten Scheiß, dem wir machtlos gegenüberstehen in etwas übersetzt hätten, dass wir alle verstehen. Etwas gegen das man alles wirft was man hat, am Ende seinen eigenen Leib, bis man nicht mehr kann. Auch wenn es nichts bringt, man schreit in das Nichts, in der Hoffnung, eine Antwort zu bekommen.
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Eine von Kirbys Pädagoginnen riet uns, ihm das Nein-sagen beizubringen. Damit gäbe es eigentlich keine Probleme, erklärten wir uns, und baten um den Grund für diesen Vorschlag. Sie beobachte, dass er anderen Kindern oft helfe, und manchmal beobachtet sie bei den Hilfesuchenden, dass diese Kirbys Bereitschaft zu helfen ausnutzen.
Wir redeten mit Kirby darüber, seine Aussage dazu war: «Wenn jemand etwas das ich kann nicht kann, wieso soll ich dem nicht helfen?». Auf der einen Seite bin ich sehr froh darüber, dass er so denkt, aber es wird wohl tatsächlich Zeit ihn darauf hinzuweisen, dass es auch bedeutet jemand dabei zu helfen, zu lernen sich selbst zu helfen.


