Sturm und Drang

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Als die Straßenbahn in der Unterführung wegen eines Schadhaften Zuges ein paar Stationen weiter halten musste, erinnerte mein Körper daran, dass unsere Blase seit 25 Stunden nicht geleert wurde. Dann wird’s aber Zeit, dachte ich, und begann damit, nervös die Zehen in meinen Schuhen zu bewegen.

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Der Sturm der letzten Tage schien, das Regenwasser aus den Lacken am Straßenrand zurück in die Wolken pressen zu wollen.

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Die ältere Schwägerin fragte uns, wie die Schwiegermutter mit Kirby umging, denn wie sie mit dem älteren Neffen umgeht kann nicht so weitergehen. Ein Beispiel genügte mir bereits, um mich in ihrem Standpunkt einzumieten. Wir haben in den kommenden Tagen ein Treffen mit der Schwiegerfamilie, da wird das wohl angesprochen werden—müssen.
Daraufhin fragte ich Kirby wie es denn mit ihm und Oma sei. Er antwortete mir, sie hörte auf sein Nein. Der ältere Neffe ist leider nicht alt genug um sich entsprechend zu artikulieren … aber die anderen Anzeichen müsste man als Erwachsener wahrnehmen und interpretieren können? Oder? Mich mag der ältere Neffe nicht besonders, und es ist ok, wenn er diesen Blick bekommt, verabschiede ich mich und verlasse den Raum bzw. lasse ihm mehr Raum.

Apropos Schwiegermutter: Nach ihrem langen Aufenthalt in Indien, brachte sie Kirby eine kleine Figur mit. »Oh, Ganesha, da wird er sich freuen.«
»Du kennst ihn?«
»Ja, die Mahabharata liegt auf einer Festplatte, ich habe sie nur noch nicht ganz gelesen.«
Ich weiß nicht, wie ich den Gesichtsausdruck der Schwiegermutter nach meiner Antwort hätte deuten sollen. Sie war überrascht, aber ob positiv oder nicht war mir nicht klar.
Mein Wissen über Teile der indischen Mythologie setzt sich allerdings nur aus der popkulturellen Aufarbeitung dieser zusammen, die in Grant Morisson’s 18 Days stattfand—der Bildband war großartig, das Comic und die »Motion« Serie ließ einen … mehr erwarten.

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Es ist schwer, Kirby zu vermitteln wie privilegiert seine Weihnachtsfeiertage waren. Aber wie soll man es ihm beibringen? Urlaub im Kriegsgebiet? Es frustriert mich.

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Aber was mich viel mehr frustriert, ist das Spielzeug zum Paw Patrol Franchise. Kirby bekam davon ein paar Sachen im Herbst geschenkt, von Bekannten von uns, deren Kinder das Interesse daran verloren hatten. Die versammelte Großelternschaft schenkte ihm zwei Artikel zu Weihnachten.
Eines muss ich hier voranstellen: Ich bin mit Spielzeug zu Franchises aufgewachsen. Was Spin Master hier macht, ist ein Tritt ins Gesicht von Kindern und Eltern. Es gibt keinen Maßstab, der die Reihe verbindet, nur allen möglichen Krimskrams in verschiedensten Größen und Ausführungen, lieblos produziert. Wieso statte ich ein Spielset mit einer Arrestzelle aus, wenn dies in der Ganzheit der Serie nicht einmal vorkommt? Wieso ist diese Zelle nicht groß genug, um das Spielset wieder in seinen Ursprungszustand zu versetzen, wenn eine der mitgelieferten Figuren darin steht? Wieso sind die Betten in der Kajüte nicht groß genug, um eine Figur hineinzulegen? Wieso kann ich die Brücke des Schiffes nicht schließen, wenn ich eine der mitgelieferten Figuren hineinstelle? Beim Radargerät war wohl geplant, den Bildschirm
mittels eines Rades drehen zu können, am Ende wurde alles ein Teil auf dem eine Scheibe aus blauem, transparenten Kunststoff geklebt wurde.

Da bin ich von dem Hot Wheels Zeug positiv überrascht, dass wir ihm schenkten. Ja, es ist Plastikmüll, aber zumindest mit Details und in sich stimmig. Der Reifenstapel bei einer Auffahrt ist ein Detail, über dessen Betrachtung ich mich noch jedes Mal freute.

Sind sie nicht wunderschön?

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Kirby wünschte sich bereits im Herbst ein Buch von mir: Der Totenkopf. Über die Feiertage fragte er mich danach, es ihm vorzulesen. Anfangs dachte ich noch, dass es wohl eine unruhige Nacht werden würde, wenn er das vorgelesene im Traum verarbeiten würde, aber dann nimmt die Geschichte eine Wendung, und das Ende ist ein … für den Moment gutes Ende. Es ergibt sich eine Freundschaft, dass ist doch etwas gutes. Ich kann es nicht uneingeschränkt empfehlen, aber wenn man sich ein wenig gruseln möchte, und Spannung aushält, ist es geeignet.

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Aus welchem Grund auch immer lieh sich niemand die letzten fünf Bände von Billy Bat in den letzten Tagen aus, was mir die Möglichkeit gab, es in den Mittagspausen dieser Woche zu Ende zu lesen. Da werde ich hoffentlich noch Worte dazu finden.

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Ich hadere mit einer anstehenden Untersuchung—der Vorbereitung dafür. Ich sehe auch meinen Sinn mehr in dem Versuch meinen Zustand zu verändern, dafür wurde ich in den letzten Tagen wieder zu oft daran erinnert, dass es wohl besser wäre, ich würde weniger mit meiner Angst vor dem Selbstmord hadern.

Wenn ich dieser Tage kreativ schreibe, dann meist über Familien, immer mit einem fantastischen Kniff—das ist mein Schaden—aber immer über Väter die sterben.

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Der Soundtrack zu Parodius lief in letzter Zeit oft in meinem Hinterkopf.

Vaterfreuden

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Kirby widersprach einem häufig in den Asterix Comics geäussertem Spruch:
»Der Häuptling braucht keine Angst haben, der Himmel wird ja von dem Mann gehalten.«
Vor kurzem sprachen wir über Atlas, weil dessen Version aus den DC-Comics in Danger Street vorkam, dessen ersten Sammelband er sich aus dem Regal holte—darin räumt unter anderem Atlas seinen Posten.

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Empört stellte Kirby fest: »Papa hat ein Buch, da sind keine Bilder drin.«

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Vor dem einschlafen fragte er mich ob es noch Piraten gibt. Ich erklärte ihm moderne Piraterie—Geiselnahme und Bootsentführung als Brotjob, den Menschenhandel ließ ich fürs Erste aus—und er schlief ein.

Antworten

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»Was würde passieren wenn alle Tiere und Menschen sterben?« fragte Kirby, und bevor wir Luft für die Antwort holen konnten, stellte er seine Idee dazu vor: »Also, die Pflanzen würden alles zuwachsen, und alles wird kaputt und landet unter Erde, deswegen wird es nicht ganz kaputt, und dann kommen erst einmal wieder Einzeller die sich weiterentwickeln müssen, Dinosaurier, Höhlenmenschen, und dann wieder Jetztmenschen, und wenn die Ausgraber—Archäologen—dann unsere Raketen—für die Raumfahrt—finden, werden sie fragen ›Was haben die Menschen damals gemacht?‹«

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Bis auf die letzten drei Bände, hat einer der Mitlesenden mir alle für mich noch zu lesenden Billy Bats vor der Nase weggeborgt. In Zukunft werde ich von der Möglichkeit der Vorbestellung gebrauch machen.

niemand trinkt hier ernsthaft

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Vormittags ratschte das Telefon; der Fahrer der Spedition, die den Drucker liefern wollte wissen, ob ich auch an der Lieferadresse bin.
Zehn Minuten später steht das Gerät bei uns, und meine letzten Münzen in der Hand des Spediteurs—ich muss mir wieder angewöhnen Trinkgeld zu geben, wenn möglich.
Man soll elektrische Geräte ja erst am Aufstellort akklimatisieren lassen. Wir machten das so konsequent, dass wir darauf vergaßen, dass er da ist… Morgen dann.

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Nach einem Niesen glaubte ich erst, es hätte mir die Nase zerrissen.

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Wenn man Alkoholismus «Daydrinking» nennt, könnte man meinen es sei ein Spleen… Der Liebhaberkollege klärte mich darüber auf, das eines seiner Schäfchen, angesprochen auf seinen Alkoholkonsum mit dem Wort konterte—und dass es eine Phase sei. Was sollte er jetzt machen, wollte er wissen. Meine Idee war, das Schäfchen erst einmal davon abzuhalten über die Feiertage den Kopf in den Ofen zu stecken, und im kommenden Jahr noch einmal darüber zu reden—mit dem Katalog an Hilfsmaßnahmen, die unser Arbeitgeber bietet.

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Kirby fragte, ob ich ihm Klaus vorlesen könnte. Beim durchblättern entschied ich: wir schienen das noch auf. Was schade ist, weil es eine gute Reihe war.

aus Klaus no.7 (2015)