telefonfreier Vormittag

Teil von: Was machst du eigentlich den ganzen Tag?

Kirby rief nachts nach einem von uns. Die Frau ließ mich schlafen und legte sich zu ihm. Er hatte eine Hand zum halten gebraucht.
Der Tag begann für Kirby und mich um fünf Uhr. Er kam erst einmal zu mir ins Bett und wir kuschelten ein wenig. Die Frau und er machten sich flotter als üblich für den Alltag fertig; wir trödelten alle drei, nur hatte ich den Luxus der Krankmeldung auf meiner Seite.
Als die Beiden das Haus verlassen hatten, »reinigte« in Ruhe meinen Rachen mit einem Spray, röcheln, husten und lesen—Do no harm von Henry Marsh. Dem folgte die Niederschrift der Tagesnotizen.
Trotz des Schwindels und Druck im Kopf erledigte ich den Rest der Hausarbeit. Dabei ließ ich das Staubtuch wieder einmal durch die nicht leicht zugänglichen Ecken der Wohnung wischen lassen. Während der Tätigkeit rief meine Mutter an um zu fragen, ob wir jemanden brauchen, der beim anstehenden Streik der Pädagogen auf Kirby achtet. Es ist interessant, dass meine Eltern sich nicht trauen, die Frau mit solchen Fragen anzurufen. Eigentlich sollte ich wissen ob die Betreuung geregelt ist, mir lag die Antwort in dem Augenblick aber nicht in abrufbarer Form vor; wie bei so vieles, war da nur die Silhouette einer Information, deren Form sich ändert, wenn immer mein geistiges Auge sie ansieht. Außerdem beklagte ich mich bei meiner Mutter über meine letzte Erfahrung beim Hausarzt—»Ich vertrage diese Medikamente nicht.« »Sie wirken heute viel zu Gesund für Medikamente, erholen sie sich einfach.«—und das Gefühl … geschasst zu werden. Es geht mir momentan schlecht. Ich weiß nicht wo der Funken herkommt, der den Motor in Bewegung hält… Und es scheint auch niemanden zu interessieren bzw. soll ich mich einfach zusammenreißen. Das Übliche.
Das Gespräch riss ab, und ich konnte den restlichen Vormittag kein Telefonat mehr führen; das Gerät schaffte es, SMS zu versenden, telefonieren wurde mir bis in den frühen Nachmittag verwehrt.

Nach Erledigung der Hausarbeit gab ich der Depression nach, und legte mich auf die Couch. Hintergrundlärm ist dabei irgendein Fernsehfilm den ich mir auf einen Bildschirm lege. Die Gedanken kreisen ums kreative Schreiben und Löcher in einer der Geschichten mit denen ich schon seit Monaten schwanger gehe. Ich brach die Ruhephase frustriert ab, denn es stellte sich weder Ruhe, noch fielen mir Lösungen ein. Ich laß ein wenig bei Henry Marsh weiter.
Nach einer Mahlzeit machte ich mich bereit, Kirby abzuholen. Währenddessen kehrte der Schmerz unter dem rechten Rippenbogen zurück; etwas das mich gestern bei einem Spaziergang in die Knie zwang. Nicht mehr in der Intensität wie gestern, aber genug um meine Gedanken auf meinen verfallenden Körper zu konzentrieren.

Kirby zeigte mir sein neues Bild, welches er sogar unterschrieb. Er schrieb seinen Namen aus dem Gedächtnis! Er stellte mir eines der neuen Kinder vor, und beschwert sich dabei, dass es so oft weint. Ich erklärte ihm, dass es erst ein Jahr alt ist, und die Trennung von seinen Eltern dementsprechend schmerzhaft ist, etwas das Kirby erst erlebte als er älter bzw. unsere Beziehung gefestigter war.
Im Aufzug erzählte mir Kirby, er arbeitete bereits, als er in Mamas Bauch war.

Kirby bekam ein wenig Schokolade Eis, das er bei einer Episode Dora the Explorer aß.
Er wollte eine der Aquaperlen Figuren legen. Yoshi aus dem Super Mario Franchise wurde es. Ich musste ihn dabei Filmen, weil mich seine Geduld und Konzentration beeindruckte. In letzter Zeit ist er in Beidem sprunghaft, aber hier war er konzentriert wie ein Laserstrahl. Dafür gabs eine weitere Episode Dora.
Als die Frau nach Hause kam, buken die Beiden einen Schokolade-Bananen Kuchen.
Weil wir alle müde waren, spielten wir noch eine Runde Mario Kart—allerdings laß ich ihm davor noch ein Drache Kokosnuss Buch vor, die Konsole bestand darauf, dass deren Batterie einen Gewissen Ladestatus aufweisen muss, bevor sie ihren Dienst startet. Nach ein paar Runden, spielte Kirby noch eine paar Minuten Abzu.
Nach dem Abendessen laß ich ihm ein zweites Buch aus der Reihe vor.
Und eine Geschichte aus einem Ariol Comic bevor ich ihn ins Bett brachte.

Dazwischen erkundigte sich die tolle Kollegin nach meinem Gesundheitszustand. Bei der Gelegenheit brachte sie mich auf den neuesten Stand, was den Status am Arbeitsplatz angeht. Es ist kompliziert und deprimierend. Es wird heuer wieder Mitarbeiterfeedback Gespräche geben. Es wird schwer, positive Dinge zu finden, die man erwähnen kann … das Gehalt kommt pünktlich. Immerhin.
Der ernste Kollege scheint sich nach wie vor nicht für die Arbeitsabläufe zu interessieren, sondern möchten den Laden anzünden und nach seinen Vorstellungen neu aufbauen.

Auf der Couch las ich durch einen Teil des dritten Bandes von Dead Dead Demon’s Dededede Destruction, ein—bisher—großartiger Manga von Inio Asano, über das tagliche Leben einer Gruppe japanischer Schülerinnen und der Menschen in deren Leben in einem Japan über dem ein UFO schwebt, gegen das ein »langsamer Krieg« geführt wird. Fühlt sich sehr aktuell an, da starten die Kinder gerade ins Leben, und im Hintergrund bauschen sich diverse Situationen weiter auf, die deren Leben stärker lenken könnten, als ihnen bewusst ist. Leider gibt es den Manga digital nur auf Deutsch.

Beim abendlichen Gespräch mit der Frau erschraken wir, als plötzlich eine Gelse an uns vorbeiflog. Wir versuchten sie nach draußen zu leiten, in dem Prozess verlieren wir ihre Spur.
Im Bett bildeten wir uns ein, das Fluggeräusch des Insekts zu hören. Unsere parallel auftretenden Vermutungen, einen Stich zu spüren, brachten uns zu dem Ergebnis, dass die Gelse uns wohl nicht ins Schlafzimmer gefolgt war. Im Anschluss erschrak ich noch einmal, weil ich vergaß Milch im Karton zu kaufen, weil Kirbys Kindergarten daraus Laternen bastelt. »Wir haben nur Milch im Karton.« erinnerte mich die Frau. Puh.
Vor dem umdrehen laß ich die Nachrichten. Dies verstärkte das Gefühl, die Familie zusammenzupacken und abzuhauen zu wollen. Aber wohin? Es scheint das die ganze Welt sich gerade wieder an den 1920ern orientiert, anstatt an den 2020ern. Mein Vater sagte einmal zu mir, dass die Leute viel zu intelligent wären für politische Blödheiten, und immer intelligenter werden. Er hatte nicht erwähnt wo dies der Fall sei.
Gegen halb zehn drehte ich mich zum schlafen um.

widersprüchliche Ansichten

journal

Egal wie es sich ließt, die Notizen müssen raus.

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Nach dem ausdünnen des Haupthaares erreichte ich die nächste Wegmarke auf meinem Weg zum Ende: eine Gleitsichtbrille. Seit einer Woche trage ich nun bifokale Gläser in einem schmäleren Gestell. Prinzipiell eine tolle Sache, vor allem wenn ich unter den ungünstigen Lichtverhältnissen in Kirbys Bett vorlese, da bessert der Nahbereich einiges aus. Bewusst benutze ich die Nahzone derzeit nur beim lesen und schreiben. Die Verzeichnung an den Rändern wurde mit der Zeit weniger störend, und wird inzwischen nurmehr von mir wahrgenommen, wenn ich daran denke—so wie jetzt, verdammt. Was aber noch immer ein großes Minus ist, ist die Gewöhnungszeit, die lag früher bei zwei Tagen; bei dieser Brille bin ich ab Mittag «optisch ermüdet». Ich bilde mir aber ein, dass es besser wird.
Jetzt brauche ich noch eine Arbeitsbrille—sage ich jetzt, wenn dann die ersten Fahrlässigkeitskratzer ‘drauf sind, schaffe ich sie an.

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#kirbyshaustier

Kirby möchte schon seit längerem ein Haustier. Eine Katze kommt wegen meiner Allergie nicht in Frage; ein Frosch kommt nur in Frage wenn er ohne Vater leben möchte—Kaulquappen hätte er schon gesammelt gehabt; Hunde sind keine Option; und ich bin nicht begeistert davon, Tiere einzusperren und … ich will mir nicht noch mehr Freizeitstress schaffen.
Die Frau setzte sich mich Kirby zusammen, und besprachen Möglichkeiten der Tierhaltung. Eine Patenschaft wäre mir sympathisch gewesen, aber es geht auch darum, Kirby Verantwortung spüren zu lassen.

Das letzte Aquarium mit dem ich zu tun hatte, fand vor 30 Jahren statt. Unser Cousin bekam eines, und mein Bruder und ich halfen beim einrichten. Jetzt verstehe ich, wieso dort regelmäßig ein Massensterben stattfand: Keiner von uns wusste was er tat, nicht einmal der Fachhändler. Der Prozess den wir seit drei Wochen am laufen haben—und noch nicht abgeschlossen ist—fand damals in zwei Tagen statt unter Einsatz von Chemie und «wird scho passn» statt.
Heute stellt man sich zum Beispiel eine Co2 Anlage neben das Aquarium um die Wasserqualität zu regulieren und die Flora zu unterstützen. Als die Frau fragte was denn mit dem Co2 wäre, sagte ich noch «Wieviel brauchst‘?» und atmete ein paar Mal schnell ein und aus… Jetzt steht da ein Edelstahlbehälter, in dem Zitronensäure mit Natron reagierte, und das dabei entstandene Kohlendioxid nun ins Wasser entlässt. Prinzipiell eine coole Sache, aber der Behälter steht unter 60 Bar Druck. Den wird es schon nicht zerreißen, aber zusammen mit den Litern an Wasser die neben unseren Büchern Platz nahmen, entstand eine Unruhe in mir, die im Hinterkopf einen Büroraum bekam.

Die ersten Bewohner bezogen das Aquarium ohne unser Wissen. Da waren wohl ein paar Schneckeneier bei den Pflanzen, jedenfalls zählten wir am Tag nach dem aufstellen drei Schnecken. Eine Gruppe Garnelen zog vor ein paar Tagen ein. Mit denen stieg die Wasserqualität noch einmal eine Stufe, und in den nächsten Tagen wird es wohl Zeit, sich nach Fischen umzuschauen.

Kirby ist derzeit begeistert dabei, sich um den separaten Lebensraum im Wohnzimmer zu kümmern. Sogar die Tätigkeitslisten führt er gewissenhaft. Bei der Regulierung der Co2 Anlage schaue ich ihm noch über die Schulter, deren Ventil verändert den Gasfluss bereits wenn man es länger betrachtet—ich gehe sogar so weit, dass es in diesem Moment, wo ich es erwähne wieder ein Stück weiter öffnet, und dass es jedes Mal wieder geschieht, wenn diese Worte gelesen werden.

Den Effekt eines Aquariums kann ich nicht abstreiten. Man setzt sich hin, schaut den Pflanzen dabei zu, wie sie sich in der Strömung des Filters wiegen, und lässt die Gedanken ziehen. Eine Aquascape, eine Wasserlandschaft, wäre mir lieber als ein klassisches Aquarium; ein kleiner Ort, den man zwar einrichtet, aber trotzdem komplett unbekannt wirkt und in dem die Natur vor sich hinwächst.
Mit Gedanken der Entspannung wird mir aber auch eingespielt, wie man die Garnelen aus deren Becken im Zoohandel fischte. In den letzten Monaten ersetze ich die Tiere in diesen Situationen mit Menschen.
Sagt der Mann, der eine Jahreskarte für den Zoo hat…

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Blasphemous 2, ein Videospiel auf das ich mich schon lange freue—erschien vor kurzem. Man rauft sich dabei durch eine Welt, in der ein «Wunder» vieles durcheinandergewüefelte, und seitdem keiner mehr ein komplettes Teeservice im Kasten hat—nebst allerlei körperlichen Nebenerscheinungen. Genau gemacht für Leute wie mich, die ihr Geschirr vor langer Zeit veräusserten.

Bildrechte liegen bei den Inhabern.

Hochschaubahn durchs Geisterhaus

Seit Wochen erlebe ich spontanen Schwindel. In klassischen Situationen wo es einen schon drehen kann, auf eine Leiter steigen, schnelle Bewegungen, solche Sachen; aber ich nahm an, es läge am Schlafmangel.
Dann bezog der Schwindel über Nacht ein permanentes Quartier in mir. Diesmal nahm ich an, die Sache würde sich nach einem Tag von selbst erledigen.
Momentan bin ich einmal krank geschrieben, habe einen Termin beim HNO und bekam eine Hausaufgabe vom Arzt mit: mit geschlossenen Augen erst aufrecht sitzen, dann auf die eine Seite legen, warten bis der Schwindel vorbei ist, aufsetzten, warten bis der Schwindel vorbei ist, auf die andere Seite legen, fünf Mal alle drei Stunden. Und es hilft, der Schwindel rückte «in den Hinterkopf», wo er allerdings eine dauerhafte Präsenz ist.
Ein interessantes Detail ist, dass ich trotz des Schwindels auf einem Bein stehen kann, wobei ich das hochgezogene Bein nicht einfach anwinkele, sondern hochziehe.
Warten wir was die Fachkraft dazu sagt.

So ein Lagerschwindel kann auch Stressbedingt auftreten — davon hätte ich genug. Wie jeder Andere auch. Aber die Frau steht trotzdem wie der Fels während ich mich biege wie die Ähre im Wind — mit dem Kopf permanent auf dem Boden.

Der Befund der Diagnostik sieht mich vor der Gartentür des Hauses in dem Autismus wohnt, es sind die Auswirkungen der Depression die sich immer bemerkbarer machen. Therapie … ja, aber sobald man den geschützten Bereich verlässt, ist da wieder all die Last und die Worte sind nur das, Vibrationen der Luft die an Intensität verlieren. Ich will den Nutzen von Psychotherapie nicht in Frage stellen, aber durchs reden lassen sich Lebensentscheidungen nicht verändern, dass war nur in der Vergangenheit möglich.

Wirke ich tatsächlich nurmehr niedergeschlagen? Dann könnte ich es mir ja sparen, zu versuchen lustig zu sein. Zumindest scheine ich «kompetent freundlich» aufzutreten.

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Am Arbeitsplatz starteten den großen Umbau. Und die ersten Arbeitsschritte liefen schneller und einfacher an, als wir annahmen. Allerdings sind wir erst am Anfang, und nahmen uns die einfachsten Arbeitsschritte vor — hier mussten nur ein paar Komponenten ausgetauscht und ein paar kleinere Anpassungen vorgenommen werden. Das Ausrücken mit Stichsäge oder Dremel steht uns noch bevor. Aber der Start war motivierend.
Ich arbeitete dabei mit einem der neuen Kollegen zusammen. Schrieb ich schon von ihm? Bilde mir ein dass ich darüber schrieb ihn Krankheitsbedingt nach Hause geschickt zu haben. Der gab ein Tempo vor, bei dem ich nur schwer mithalten konnte. Es ist schön, wieder einmal gefordert zu werden, durch den freundlichen kollegialen Druck bei dem man aus der Arbeit ein Spiel ohne Gewinner macht. Am Ende des Tages sieht man die Gesamtheit der erledigten Arbeit vor sich und gratuliert sich gegenseitig.
Ohne Weitpinkeln.
Das fehlte mir.

Aber man soll sich nicht zu sicher in der Harmonie fühlen. Die Kollegin erzählte mir, wie man darüber spekuliert ob sie und die Auszubildende «was am laufen» haben. Sind ja Beide homosexuell, muss so sein… Frustrierte alte Männer bei der Arbeit.

Die Kollegin rief mich letztens um 00:30 an weil es Brösel mit der Notstromversorgung gab. Die Entschuldigung dafür war unnötig, weil sie mich aus einem Albtraum weckte. Eine große Hilfe war ich nicht, konnte auch nur zur Abschaltung der Anlage raten, und jemand von der Firma bestellen zu lassen, der mit seinem Analysegerät einen Befund erstellt.

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Kirby bittet öfter darum Dinge wie Geheimnisse zu behandeln. Kleine Dinge, dass er ein Eis aß, er mit mir ein wenig mehr schaute als wir ausmachten. Alles Dinge, weswegen er noch keine Probleme bekommen hätte. Wir reden darüber, dass es vielleicht einmal nicht angebracht ist, aber erklären ihm auch, dass wir das ja auch machen und versuchen, ein anderes Mal zurückzuschrauben. Probiert er einfach nur aus? Sicher wird er einmal Geheimnisse haben, das lässt sich nicht vermeiden, aber ich möchte nicht, dass er denkt Probleme zu bekommen wenn er einmal welche hat die «außer Kontrolle» geraten.

Und er wird zu schnell groß. Im Umgang mit seinen Cousinen und Cousins verhält er sich wie ein großer Bruder. Aus dem Kindergarten hören wir ähnliches.

Das Schreibtraining gefällt ihm mit jedem Mal ein wenig besser.

Die Frau schenkte mir die Figur von Short Round aus Hasbros Indiana Jones Figurenreihe, und als Kirby die sah, war es sehr wichtig für ihn bestätigt zu bekommen, das Shorty ein «Guter» ist. So vehement wie er mich dabei ansah als er fragte «Bist du dir ganz sicher Papa?», und wie sich diese Ernsthaftigkeit löste als ich sagte «Wäre Shorty echt, würde ich ihm vertrauen.»

Sein Gedächtnis beeindruckt mich. Vor ein paar Wochen brachte ich ein Bücherpaket mit, von dem ihm nur eines zu gefallen schien. Und dann fragte er aus dem blauen heraus, ob wir die anderen beiden Bücher lesen können. Sie gefielen ihm damals schon, aber er fand, sie passten nicht zum Moment. Wie ein Vater.
Wir sortieren ein paar seiner Bücher aus und spendeten sie. Ich sortierte der Fairness halber auch bei mir aus.

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Die X-Plus Figuren liegen seit einer Woche zum auslüften auf der Fensterbank. Ich wunderte mich um den scharfen Luftmatratzengeruch, aber die Dinger sind 20 Jahre alt, und warn originalverpackt, da bemerkt man, dass der Kunststoff arbeitet. Aber die Ausführung ist großartig, als hätte ich geschrumpfte Schauspieler im Kostüm gekauft. Ich denke ich habe da Blut geleckt, aber Mandarake und private Händler rufen momentan Fantasiepreise auf.
Interessant wie sich meine Prioritäten bei Spielzeug verschoben; weg von dynamischen Actionfiguren, hin zu Statuen.

fremde Hoden

Seit dem Ende meines letzten Urlaubes im August, hatte ich – gefühlt – keinen freien Tag mehr. Im Oktober war es tatsächlich so – ohne dem Eingriff am Hoden, hätte ich während des ganzen Monats nur einen geplanten freien Tag gehabt. Ein Ergebnis der Personalpolitik bzw. der Personalsituation und des übereifrigen Veranstaltungsbetriebes.
Wie lange das noch so weitergehen kann … man spricht es im Betrieb nicht laut aus: die Zeiten voller Häuser sind vorbei. Ich erfuhr dies am eigenen Leib, als ich Karten für Weird Al besorgte. Kultur ist das erste das einem aus der Hose fällt, wenn der Gürtel enger wird.
Deswegen sorge ich mich darum, was an Kultur nach dieser Ausdünnung über bleibt. Intellekt ist in Österreich nicht nur Fremdwort sondern beinah schon ein Verbrechen, und wenn wenn die Gerüchte stimmen, wetzen diverse Megachurches und sonstige Verstrahlte in Mitgliederwerbung zu investieren; in Veranstaltungsorten…

Der Betriebsrat informierte uns, dass es wegen unterschiedlichen Meinungen zwischen Betriebsräten und Geschäftsführung vielleicht zu einer Betriebsversammlung kommen könnte. Auf die Ankündigung, kam bei vielen der Österreicher durch – vor allem bei denen, deren Arbeitsplatzpersona sich zum großen Teil mit dem Kommentieren der schlechten Leistungen des Betriebsrates besteht. »Da schneiden wir uns ja ins eigene Fleisch.«. Falls es zu einer Betriebsversammlung kommt, überlege ich in die Fußstapfen von Opa Hopkins zu schlüpfen. Als der mit 14 die Schlosserausbildung begann, wurde einmal die Arbeit niedergelgt, und ihm die Aufgabe zuteil, Streikbrecher zum Überdenken aufzufordern. Dazu hatte er die Wahl zwischen eines Holzstaffels oder Eisenrohrs als Argumentationsverstärker. Die Leute, die meinten es wäre eine gute Idee gewesen zu Hause zu bleiben wurden von Anderen abgeholt, und wer es in den Büros aussaß, fasste auf dem Weg in den Feierabend ein paar Watschen aus. Der größte Gegner des Arbeiters ist der Arbeiter.
Wie wahr der Spruch doch ist … in den letzten Wochen machte ich dem zurückgekehrten Lehrling klar, dass wir Kollegen sind, keine Freunde. Wir blödeln und unterhalten uns übers Leben, aber wenn ich abgemeldet bin, war es das für mich; dann gilt nurmehr Lebensgefahr oder technisches Gebrechen als Kontaktgrund. Bei einem Nachtaufbau gerieten wir aneinander, weil er meinte den Abend mit einem Abendessen und Gelächter mit der Crew in Freizeit zu beginnen, weil ja eh nichts zu tun war. Es verging mehr Zeit als notwendig, bis er kapierte, welche Vorbereitugsarbeiten notwendig waren – dabei arbeitete er die letzten Jahre in großen Betrieben, die eine gewisse Professionalität fordern … bei einem Nachtumbau will man nicht länger als notwendig bleiben, weil man ab einem Punkt von der Müdigkeit eingeholt wird. Und dann kann es, je nach Verfassung, sehr zäh werden.
Im Frühling verlässt er uns wieder. Ist vielleicht besser. Der erhoffte Befreiungsschlag für ihn war die Rückkehr nicht.

Wir bekamen eine neue Auzubildende, die ich am liebsten wieder nach Hause geschickt hätte. Nicht weil sie fachlich unqualifiziert scheint, im Gegenteil, sie ist wissbegierig und geschickt – sie hilft mir bei vielen «kleinen» Arbeiten, weil sie einfach geschicktere Finger hat; ihre Lötstellen sind ein Traum –, aber menschlich wird sie bei uns wohl abgearbeitet. Ich bemühe mich, menschlich zu bleiben, aber man rutscht automatisch in diese Handwerker Rolle, diese toxische Scheiße die bei uns im Betrieb normal wurde. Die Arte Dokumentation Arbeit ohne Sinn kommt mir dazu in den Sinn, weil dieses Verhalten eine Art Traumabewältigung ist: man versucht die eigene Verletzung zu heilen, indem man sie weitergibt. Das gute alte Generationentrauma…

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Meine Hoden sind jetzt wieder in Ordnung – das Problem war nicht schlimm, sorgte lediglich für ein wenig »unwohlsein«.
Dabei möchte ich wieder allen Frauen, und besonders Müttern, meine Bewunderung aussprechen. Die Operation fand ambulant statt, und mir gingen vor Schmerzen beinahe die Lichter aus – der Chirurg und ich hatten meine Schmerzgrenze falsch ausgelotet; ich habe keine –, jede Geburt ist um ein vielfaches schmerzhafter, und nicht nach 25 Minuten vorbei. Und ich hatte wieder einen »Mhmm, Speck.« Moment, beim Geruch meines verbrannten Fleisches.
Es folgten zwei Tage «Tai Chi». Die Frau meinte die Sorgsamkeit und Geschwindigkeit meiner Bewegungen wirkte, als hätte ich die Bewegungslehre in meinen Alltag eingebaut. Auch jetzt zwickt und sticht es noch – mit stetig abnehmender Frequenz.
Außerdem fühlt es sich an als … als wäre es nicht mein Hoden. Das soll nicht heißen, dass ich meine ein Sackerl aus einem anderen Supermarkt an der Kasse hängen zu haben. Es wurden Dinge korrigiert, und jetzt passt sich der Körper an. Aber ich muss beim Halblotus das andere Bein nach oben legen.

Der Anhang meiner Hoden ist in schlechter Verfassung. Das könnte damit zusammenhängen, dass ich im heurigen Sommer neun Jahre ohne eine warme Mahlzeit feiere.

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Die neuen Mickey Mouse Kurzfilme sind überraschend gut. Bei seinem Opa laß Kirby ein lustiges Taschenbuch, und im Kindergarten erfuhr er, dass es Filme mit Mickey Mouse gibt, und bevor wir aufgeben und Paw-Patrol schauen, zeigten wir ihm eine Weihnachtskurzfilmsammlung – die überraschend antikapitalistisch gefärbt ist. Und von dort ging es weiter zu den Kurzfilmen, die mir seit Monaten von Bekannten aus Übersee empfohlen wurden.

Sein Gehör ist inzwischen wieder dort angelangt, wo wir vor einem Jahr waren. Der HNO reichte fürs erste Nasentropfen. Ich wünschte man hätte einfach die Paukenröhrchen eingesetzt…
Ansonsten entwickelt sich Kirby. Er will alles zählen; die Buchstaben benennen; wir diskutierten darüber, wieso man Hirne nicht einfach in Roboter pflanzt; zu Haloweenfeier im Kindergarten wollte er als Mitochondrium verkleidet werden – wobei wir uns darüber echauffierten, wieso der Elternverein auf der einen Seite ständig die Traditionskeule schwingt, und auf der Anderen Haloween feiern lässt.

Die Frage nach der Schule beschäftigt uns momentan. Die Suppe ist in unserer Gegend sehr dünn. Noch ist Zeit, aber nicht genug, um großartig wählerisch zu sein. Und die steigenden Kosten ließen ein paar Kandidaten ohnehin ausfallen.