Karmakredit

ich werde versuchen die Tagesnotizen von nun an in „Echtzeit“ und nicht mehr im Nachhinein zu schreiben. Mein Hirn macht das nicht mehr so ganz mit.

– 29&30mar20 –

Die folgenden Worte werden mich noch unsympathischer machen, und ich gebe zu sie sind aus Neid und Schadenfreude entstanden:
Es beruhigt mich, dass die Leute im Speckgürtel – die sogar Ihren Alltag damit finanzieren indem sie Tipps zum Umgang mit Kindern geben – ebenso an der ganztägigen Präsenz ihrer Familie verzweifeln, wie ich es gestern bin.
Aber ich wünsche uns allen eine rasche Umkehrung dessen.

Kirby hat unruhig geschlafen. Ich habe Ihn bis zwei Uhr früh begleitet, dann hat die Frau übernommen. Die konnte aber nicht mehr einschlafen und war dementsprechend fertig als ich aufgestanden bin.
Kirby und ich haben Sie ins Bett geschickt – aber was ich auch probiert habe, ich habe es nicht geschafft Kirby „ruhig“ zu halten. Ich bin durchgedreht. Geflucht habe ich… Als die Frau den Versuch zu Ruhen aufgegeben hat, bin ich Sie auch noch angefahren. Mich belastet die permanente Anwesenheit von Menschen – unabhängig vom Verwandtschaftsgrad. Ja, ich freue mich darüber, dass ich Zeit mit meinem Kind verbringen kann. Ich wünschte, es wäre eine Zeit, in welcher der Hinterkopf nicht permanent darüber nachdenkt, wie die Schulden die derzeit gemacht werden, von der Gesellschaft gestemmt werden – und vor allem wieviel Gewicht unsere Kinder auf Ihre Schultern laden dürfen. Aber ich freue mich jedes Mal, wenn er mit einem Buch ankommt, ich mich in den Schneidersitz begeben darf, und wir miteinander zum x-ten Mal z.B. Nick und der Wal[1] durchblättern.

Und es ist schön seiner Entwicklung zuzuschauen. Da kommen immer mehr Worte vor, die immer präziser ausgesprochen werden. Seine Bewegungen werden immer genauer – er zeichnet aus dem Handgelenk und hält den Stift, als würde er etwas aufschreiben wollen.
Und er erkennt die Welt. Das Garagentor macht Ihn vor Freude und Aufregung fertig. Heute habe ich Ihn gefragt, ob es etwa das Tor nach Garagastan ist – oder Saudi Garagien.

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Trotzdem: ich könnte besser auf meine Stimmung achten. Die Wolken in meinen Gedanken werden wieder dichter.

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Langsam fühle ich mich als mündiger Bürger ein wenig von meiner Landesverwaltung verarscht. Ich habe denen schon am Freitag nicht geglaubt, dass es keine Verschärfungen der Maßnahmen geben wird. Die Kurve steigt, es gibt schönes Wetter und die Testergebnisse erscheinen im Nachhinein. Außerdem weiß ich ja aus Brüderlein fein’s professionellem Alltag, dass sich genug Irre trotz positivem Test in deren Quarantäne an den Arbeitsplatz gestellt haben – haben ja nix. Die Maskenpflicht in Supermärkten wirkt auf mich nebenbei wie eine Erziehung zur Rationierung, so voll wie die Einkaufstaschen der Menschen hier sind – aber ich lebe in einem Brennpunkt was hamstern angeht. Dazu wird immer wieder der Schutz der Risikogruppen erwähnt – und dann sieht man Senioren beim flanieren. Meine Großmutter ist heute zur Bank marschiert, anstatt die Kreditkarte zu benutzen, die man Ihr dort aufgeschwatzt hat. Und natürlich war sie danach einkaufen. Auf Anfrage braucht sie nie etwas…

Kollegen aus Deutschland haben nachgefragt wie es uns in der Firma geht. Bei denen steht eine möglich Sperre bis zu einem Zeitpunkt im Raum, bei dem es mich auf den Scheißer gesetzt hat.

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In den „Mittagspausen“ schaue ich im Moment Ultra Q[2]. Das ist die Serie, der ich unter anderem Ultraman[3] verdanke, allerdings ist sie von den damals in Japan populären Sendungen Twilight Zone[4] und Outer Limits[5] inspiriert – nur das hier in jeder Episode ein größeres Monster auftritt. Jetzt verstehe ich, wieso die Effekte so gelobt und die Serie so geliebt wird: Für ihre Zeit ist sie herausragend. Schon alleine der Umstand, dass man auf 35mm Film gedreht hat, gibt dem ganzen ein Gefühl „größer“ zu sein. Ja, sicher schaut es entsprechend aus, kommt aus dem Jahr 1966, aber man sieht und spürt und die Arbeit die drinnen steckt.
Vielleicht bin ich deswegen gerade so fixiert auf Ultraman, auch die moderneren Versionen, weil man die Hände spürt – auch wenn jetzt mehr Computereffekte zu sehen sind als noch vor ein paar Jahren.
Anscheinend habe ich verstanden was gemeint wird, wenn man sagt „Effekten aus dem Computer fehlt es an Präsenz.“

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Bandai hat eine Ankh[6] Figur in der Shinkocchou-Seihou Reihe auf den Markt gebracht. Kurz: Sie haben einen schwebenden Unterarm samt Hand in deren Luxusspielzeugreihe hergestellt.
My shiny toy robots[7] hat es sich geleistet, damit wir es nicht tun müssen.


[1] Nick und der Wal
–stiftunglesen.de
[2] Ultra Q
[3] Ultraman
[4] The Twilight Zone
[5] The Outer Limits
–en.wikipedia.org
[6] Ankh (Kamen Rider OOO)
–kamenrider.fandom.com
[7] Toybox REVIEW: S.H. Figuarts -Shinkocchou Seihou- Ankh (Arm)
–myshinyrobtos.com

28mar20

die „der Wiener“ Asana[1]

Nicht alle Bankfilialen stellen im Moment Personal hinter deren Schalter, sondern überlassen die Abwicklung der Geldgeschäfte den Maschinen im Foyer – ein Horrorszenario für die Senioren Österreichs, darunter auch meine Großmutter. Die hat sich bei mir über den Umstand beschwert, dass Sie mit der Situation alleine gelassen wird. Als Risikopatientin hat sie auf der Bank nur im Notfall etwas zu suchen, und ich habe schon vor 25 Jahren gepredigt: Bitte freundet Euch mit den Maschinen an, denn die werden die Menschen ablösen. Damals habe ich dasselbe gehört wie heute – ein Satz, der in der DNA und dem Weg der Österreicher steht –: Ich bin schon so alt, was geht mich das an. Sogar meine Eltern haben mir das zu dem Zeitpunkt gesagt.
Das Familientelefonat ist allerdings im Verlauf besser geworden. Wieso die Arbeitslosen eigentlich nicht für wichtige Arbeiten zwangsverpflichtet werden, hat man sich gewundert. Da bin ich aus der Unterhaltung ausgestiegen. Ich bin im Moment enttäuscht von diesen Menschen, die ständig die Sozialdemokratie beschwören, und dann solche Ideen äussern.

Die Verweigerungshaltung ist auch die Grundstellung bei den älteren Kollegen im professionellen Alltag. „Der Jugend fallen die neuen Sachen leichter.“ Ja, nur ist meine Jugend auch schon 20 Jahre her. Vor der Quarantäne haben wir ein neues Lichtpult zur Ansicht bekommen. Das Prinzip der Bedienung ist dem unserer jetzigen Konsolen ähnlich – trotzdem werden wir uns bei einer Umstellung die Handbücher gegen die Schädel schlagen und hoffentlich einen externen mit der Besorgung von Biervorräten zu einem Crashkurs überreden können. Vor zwanzig Jahren hätte ich mir das alles erspart, da hätte eine Geistesverschmelzung gereicht.

Und wo andere sich wehren, nörgle ich…es steckt in im Erbmaterial.

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Kirby hat ein Synonym für Nudeln: Bombroy. Auch wenn ich es nicht schaffen werde, möchte ich versuchen dieses Wort in den Duden zu bringen.
Oder zumindest ins Urban Dictionary.


[1] Asana
–de.wikipedia.org

19mar20

Wir haben es weit genug nach draussen geschafft, um die großen Menschengruppen hinter uns zu lassen. Man nimmt einen tiefen Atemzug – plötzlich wird die Stille gestört und man realisiert: Scheiße, man kommt Ö3[1] in diesem Land nicht einmal bei staatlich angeordneter sozialer Distanzierung aus.

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Beim Comics lesen stoße ich auf DC presents no.12 (1979), welches im vor kurzem erschienen Sammelband Mister Miracle by Steve Engelhart & Steve Gerber nachgedruckt aufliegt. Dieser Comic ist Teil eines Superman Sammelbandes gewesen, welcher mein Vater mir auf einem Flohmarktbesuch gekauft hat – darin habe ich das erste Mal von Mister Miracle und Doctor Fate erfahren, der erste Schritt auf meiner Reise in die weniger bekannten Ecken des Genres.
Mister Miracle ist meine Lieblingsfigur – entkommen, fliehen, ausbrechen, Mister Miracle’s Superkraft ist ein wichtiges Thema in meinem Leben. Und beim lesen habe ich an meinen Vater gedacht, wie er meine Bücherregale und das Spielzeug mit Unverständnis mustert. Und der Satz „Papa fährt den Fluchtwagen.“ ist mir eingefallen. Ich frage mich, ob er sich ebenfalls an den Tag erinnern kann, an dem er mir den Comic gekauft hat.

Cover von DC presents no.12 (1979)
Bildrechte liegen beim Inhaber

fußnoten

[1] Ö3 ist der reichweitenstärkste Radiosender des Landes, und Teil des österreichischen Rundfunks. Leider, wenn man bedenkt, dass der Schaß mit Steuergeldern finanziert wird, während man Ö1 – den Radiosender der den Kulturauftrag auch ernst nimmt – aushungert.

17mar20

Ein Liebhaberkollege schickt eine Audiodatei in unseren Slack-Klon. Den Monolog den Will Smith in der Verfilmung von I am Legend[1] per Funk ausschickt.Da ist es mir kalt den Rücken hinuntergelaufen – ich habe bei der Suche nach einem Buch für Brüderlein fein erst die Vorlage in Händen gehalten und ein paar Zeilen des Endes gelesen. Muss man den Film gesehen haben? Ich kann Will Smith nicht mehr sehen…[2]

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Brüderlein fein hat neben einem Buch auch noch ein paar Vorräte gebraucht. Da hat jemand nicht ganz verstanden, was Quarantäne bedeutet, und Brüderlein fein teilt den Zustand nun mit ihm.
Jedenfalls verstehe ich nun einen Satz aus einem Werbecomic für Ginseng Roots:

Yet I still feel defined by my upbringing; uneducated, unsophisiticated, working class.

aus dem Werbematerial zum Comic Ginseng Roots
Bildrecht liegt beim Besitzer

Beim einkaufen der Vorräte ist meine Depression gefüttert worden. Auch heute haben die Menschen nach deren Öffnung die Nahversorger leergekauft. Wir haben uns ins Auto gesetzt und sind weiter raus gefahren. Dort haben wir alles bekommen, um Brüderlein fein für 14 Tage versorgen zu können. Bier hat er in weißer Voraussicht schon vor längerer Zeit eingelagert.
Später haben wir erfahren, dass unser Grätzl einer der Brennpunkte der Hamsterei ist.

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Beim Mittagsschlaf hat Kirby sich ausnahmsweise nicht quer über mich gelegt, sondern hat mir genug Platz zum lesen gelassen.

Der Kleine ist tapfer. Man merkt Ihm an, dass er die Spannung in der Umgebung wahrnimmt, und die Gefühle nicht ganz einordnen kann – aber sein Bestes gibt um seinen Frust zu nutzen. Um zu bauen, um mit uns zu turnen oder um zu zeichnen.

Bei einem kurzen Spaziergang hat er sich mit mir niedergelassen, und wir haben den Vögel beim kreisen zugesehen.
Der Anblick von Bussen, LKWs und Müllautos sind immer ein Höhepunkt für Ihn – wenn sie sich auch noch bewegen dreht er durch –, und als wir den Krähen beim gleiten zugeschaut haben, habe ich darüber nachgedacht, wie das wohl werden wird, wenn er die Antwort auf die Frage „Wie fährt ein Auto?“ bekommt? „Wir nehmen die Energie aus kontrollierte Explosionen und bewegen damit Kolben, welche wiederum eine Achse drehen[3][4].“ Verbrennungsmotoren sind die ersten die mir eingefallen sind, schauen wir einmal wie es sich entwickelt. Bei Hybriden kommt ja noch der Elektromotor dazu, der beim Bremsen zum Generator wird, und zu dem man parallel einen Verbrennungsmotor laufen lassen kann usw..

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Beim Spaziergang ist uns wieder aufgefallen: So richtig ernst, scheint man es mit dem sozialen Distanzieren nicht zu nehmen. Meist haben wir für den geratenen Meter Abstand gesorgt, und viele Gruppen mit mehr als fünf Personen, nutzten das warme Wetter, um sich im Grünen zu treffen. Gut, es sollen immer maximal fünf Personen aus einem Haushalt sein, das würde sich ausgehen.

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fußnoten

[1] I am Legend (novel)
–en.wikipedia.org
[2] Nicht weil ich selektiv blind bin, aber wie bei Tom Crusie habe ich das Gefühl, dass der Herr Smith in der Küchenlade sitzt, und darauf wartet, mir Werbung ins Gesicht halten zu können sobald ich sie öffne.
[3] Ottomotor
[4] Wankelmotor
–de.wikipedia.org

16mar20

Es sind weniger Menschen auf der Straße – zum Großteil Ältere.
Es wird weniger, aber es wird gehamstert. Viele der vollen Einkaufstauschen sind jedoch nicht nur für die Träger, sondern andere Menschen bestimmt.
Man sieht viele Schutzmaksken – keine davon sitzt richtig, manche werden unter der Nase getragen. Manchmal sieht man Handschuhe, aber keine Disziplin – man greift sich ins Gesicht, telefoniert, und nimmt die Handschuhe durch ziehen an den Fingerspitzen ab.
Wenn die Studien über die Länge der Pandemie stimmen, sollten die Menschen aufgeklärt werden – aber wieso sollte es bei dieser Verhütung anders laufen?

Yashica Electro 35
Ilford hp5 400 +1

In der Nacht lässt Kirby einen Plärer hören, der die Frau und mich im Bett stehen lässt. Als wir neben seinem Bett stehen, wirkt er ebenso erschrocken wie wir. Zehn Minuten später schläft er wieder.

Nachmittags führt die Frau Ihn aus.
Ich versuche mich in der Zeit zu beruhigen – ich habe kein Problem damit nicht aus der Wohnung zu gehen, ich habe ein Problem damit, anderen Menschen und deren Emissionen nicht entkommen zu können. Beim Mittagsessen trage ich meinen Gehörschutz. In der Zeit lese ich Der spazierende Mann[1]. Es hilft; den Manga muss ich gesondert besprechen.

Für den Rest der Woche bin ich freigestellt. Zu welchen Bedingungen wird noch geklärt.
Die Frau ist einberufen worden, es fehlt an Personal.

Um 18h ist geplant, den Menschen zu applaudieren, die sich darum kümmern, dass sich die Welt halbwegs stabil weiterwuzelt. Die Aktion läuft besser ab, als der gestrige Aufruf dazu, die Bundeshymne zu singen. Im einsehbaren Radius unseres Grätzls[2] sind es drei Parteien die klatschen. Kirby ist auch dabei.

Machine Sentai Kiramager[3], die aktuelle Super Sentai Serie ist überraschend brutal – da wird der gute König von einer Gruppe feindlicher Soldaten noch zusammengetreten nachdem er schon auf dem Boden liegt, während sich dessen Tochter eine Ecke weiter versteckt – und es enthält das verstörendste Kostüm, das ich in meiner Tätigkeit als Zuschauer dieser Sendungen bisher gesehen habe.


fußnoten

[1] Der spazierende Mann
–carlsen.de
[2] Grätzl = Umgebung des Wohnorts.
[3] Machine Sentai Kiramager
–powerrangers.fandom.com